Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Cendrines Beschützern räusperte. Doch was den Soldaten heftiges Grinsen abnötigte, jagte Cendrine eiskalte Schauer den Rücken hinunter. Was hatte Elias nur hier zu suchen, zwischen Leuten wie diesen? Hätte er nicht auch anderswo Geschäfte machen können? Dann aber wurde ihr bewußt, daß ihre eigene Umgebung in Südwest hier nicht als Maßstab dienen konnte. Kaum ein anderer Deutscher, der in die Kolonien kam, konnte sich einen Lebensstil wie den der Kaskadens erlauben. Die meisten waren Glückssucher und Menschen, die in der Heimat keine Möglichkeit mehr sahen, es zu etwas zu bringen. Hier konnten sie ganz von vorne beginnen – selten mit Erfolg.
    Aber warum Elias? Was suchte er hier, das er anderswo nicht finden konnte? Die Antwort darauf würde nur er selbst ihr geben können.
    Sie erreichten die andere Seite des Dorfes. Dort stand ein Holzhaus mit kleiner Veranda, ein wenig größer als die meisten anderen Behausungen, wenn auch keineswegs luxuriös. Im vorderen Teil befand sich ein kleiner Laden; durch die Fenster sah Cendrine gefüllte Regale und einen vergitterten Waffenschrank. Draußen unter dem Vordach standen Körbe mit allem, was die Menschen hier benötigten, von Reisigbesen bis hin zu Kochtöpfen und Lederstiefeln.
    Das Haus war so nah an den Rand der Klippe gebaut, daß Cendrine bei dem Anblick schwindlig wurde – höchstens drei, vier Schritte lagen zwischen der Rückwand und dem Abgrund. Das strahlend blaue Panorama des Atlantiks, der sich in weiter Ferne im Dunst verlor, war überwältigend. Sie konnte das Salz in der heißen Wüstenluft schmecken und roch die klare Weite der See, trotz all der unangenehmen Dünste, die zwischen den Behausungen der Schatzsucher vorherrschten.
    »Heda!« rief der Hauptmann barsch, ehe Cendrine es verhindern konnte.
    Sie legte eine Hand auf seinen Unterarm und schüttelte den Kopf, als er zu ihr hinübersah. »Lassen Sie mich das machen«, sagte sie entschieden. »Sie sind doch Soldat und kein Kindermädchen, oder?«
    Sie ging an ihm vorbei und näherte sich den drei Holzstufen, die zur Veranda hinaufführten. Im Inneren des Ladens ertönte ein Scheppern, dann ein Fluch; es klang, als sei eine Dose mit Nägeln oder Schrauben auf den Boden gefallen. Die Schwingtür wurde aufgestoßen, und jemand trat in den Schatten des Vordachs.
    Das Tageslicht blendete Elias. Blinzelnd sah er an Cendrine vorbei, ohne sie zu bemerken, und starrte die beiden Soldaten an. »Was wollt ihr nun schon wieder?« rief er verärgert. »Was ist es diesmal? Tabakschmuggel? Verfaulter Fisch? Oder hat sich irgendwer mit einem meiner Messer in den Finger geschnitten? Ihr werdet schon irgendwas finden, da bin ich ganz sicher.«
    Der Hauptmann gab keine Antwort, und Cendrine sagte leise: »Elias?«
    Verwundert löste ihr Bruder seinen Blick von den Uniformierten und sah zum Fuß der Treppe. Eine Brise Seewind wirbelte sein dunkelblondes Haar auf; es war nachlässiger geschnitten als früher.
    »Cendrine?« fragte er zweifelnd. Dann, lauter und mit einemmal euphorisch: » Cendrine! «
    Polternd stürmte er die Stufen hinunter, riß Cendrine an sich und umarmte sie. Er war stärker geworden, seine Schultern schienen breiter. Sie brachte kein Wort heraus, preßte sich nur an ihn und dachte: Er riecht genauso wie damals, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, nach Gewürzen und Leinensäcken. Einen Augenblick lang war es, als stünden sie wieder in ihrer engen Mansarde in Bremen, an einem Abend wie jedem anderen.
    Nach einer Weile löste er sich von ihr, aber nur weit genug, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Seine Hände ruhten auf ihren Schultern.
    »Cendrine, lieber Himmel!« brachte er ungläubig hervor. Ein breites Grinsen lag auf seinen Zügen, und alle Zweifel, die sie auf dem Weg hierher gehabt hatte, verpufften auf einen Schlag.
    »Ich habe deinen Brief bekommen«, stammelte sie glücklich und spürte plötzlich, daß sie weinte. »Du hast geschrieben, daß ich herkommen soll.«
    »Aber sicher«, entfuhr es ihm. »Ich bin so froh … ich meine, Herrgott, daß du wirklich hier bist!« Er blickte über ihre Schultern auf die Soldaten, und sein Lächeln wurde lausbübisch. »Und in so erfreulicher Begleitung.«
    Der Hauptmann hustete vernehmlich, verzichtete aber auf eine Entgegnung. Cendrine löste sich widerwillig von Elias und trat vor die Uniformierten. Nacheinander schüttelte sie allen dreien die Hände. »Ich danke Ihnen«, sagte sie. »Ohne Sie wäre ich nicht hier.«
    Der

Weitere Kostenlose Bücher