Göttin der Wüste
er.
»Nein.«
»Bist du sicher?«
Sie drehte sich unter dem dünnen Laken, um ihm in die Augen sehen zu können. »Ja, natürlich. Warum fragst du so was?«
»Es hat uns nie interessiert, was andere darüber denken könnten.«
Sie war drauf und dran zu erkunden, was in seinem Kopf vorging, schreckte dann aber davor zurück. »Wir haben niemandem Gelegenheit gegeben, irgend etwas darüber zu denken, oder?«
»Aber du glaubst, daß es falsch ist.«
»Ich weiß nicht, was dich auf solche Ideen bringt.«
»Du bist verliebt, und du zweifelst an dem, was zwischen uns ist … oder war.« Er klang jetzt ein wenig traurig, aber fast auch eine Spur erleichtert. So als wäre er froh, ihr die Schuld daran zuweisen zu können, daß alles anders war als früher. Es war verzwickt.
Einen absurden Augenblick lang beobachtete sie sich selbst wie eine Fremde, und sie dachte: Es muß irgendwas im Wasser sein, das jedermann hier im Land die Gedanken anderer lesen läßt.
Aber in Wahrheit mußte Elias natürlich keine Gedanken lesen, um sie zu durchschauen. Er hatte recht: Sie hatte sich verändert, und möglicherweise lag es ja wirklich an ihren Gefühlen für Adrian. Nicht, daß sie sich auch nur einen Moment lang vorgestellt hätte, es sei er, der sie in seinen Armen hielt. Es war etwas, das tiefer ging und das sie nicht in Worte fassen konnte. Keine Scham, auch kein schlechtes Gewissen. Elias schien das gleiche zu fühlen, auch ohne daß sie es aussprach.
»Was ist mit dir ?« fragte sie. »Warst du in der Zwischenzeit mit jemandem zusammen?«
Vielleicht war es Überheblichkeit, vielleicht auch Naivität, die sie annehmen ließ, das sei natürlich nicht der Fall gewesen. Elias liebte sie, und sie liebte ihn, so war es immer gewesen. Es schien ihr nur gerecht, daß sie diejenige war, die diese Verbindung endgültig löste. Immerhin hatte er sie in Bremen zurückgelassen, und das war allein seine Entscheidung gewesen.
»Ich bin verheiratet«, sagte er leise.
Cendrine schlug abrupt die Decke zurück und stand auf. Langsam trat sie ans Fenster, blickte hinaus über den Rand der Klippe, in einen Abgrund, der in dunstigem Blau verschwamm.
»Ich wollte es dir sagen«, stammelte er hinter ihrem Rücken, die ewig gleichen Worte, die Menschen in seiner Lage als Verteidigung vorbrachten. Ich wollte es dir sagen. Cendrine war mit einemmal so schwindelig, daß sie am Fensterrahmen Halt suchen mußte. Der Wind pfiff herein und überzog ihren nackten Körper mit einer Gänsehaut.
»Warum baut man hier keinen Leuchtturm, wenn die Küste so gefährlich ist?« fragte sie tonlos.
Es dauerte einige Sekunden, ehe er antwortete. »Niemand fühlt sich verantwortlich.«
»Ein Leuchtturm könnte vielen Menschen das Leben retten.«
Sie hörte, daß er aufstand und mit nackten Füßen auf sie zukam. Sie dachte: Wenn er mich jetzt anfaßt, schlage ich ihn. Das habe ich seit mindestens zehn Jahren nicht mehr getan.
»Sieh mich an«, sagte er, »bitte.«
Widerwillig drehte sie sich zu ihm um. Ihre Blicke kreuzten sich flüchtig, aber Cendrine gab sich Mühe, durch ihn hindurchzuschauen.
»Nanna und ich haben vor anderthalb Jahren geheiratet«, sagte er.
»Nanna?«
»Sie ist eine Herero.«
Cendrine blinzelte. »Wo ist sie im Moment? Oder hast du sie im Schrank eingesperrt?«
»Sie ist bei ihren Leuten, draußen in der Wüste. Sie kommt morgen zurück.«
»Ihre Leute sind ihre Familie, ja?«
Er nickte.
»Was würden sie wohl tun, wenn sie erführen, daß du seit deinem siebzehnten Lebensjahr mit deiner eigenen Schwester schläfst? Dich an den Marterpfahl stellen?«
»Sie würden mich töten«, sagte er ernst.
»Und Nanna?«
»Würde mir verzeihen. Sie liebt mich. Und ich liebe sie.«
Cendrine kniff die Lippen zusammen und nickte. »Ja, das glaube ich«, preßte sie schließlich hervor.
Eine Weile standen sie sich unschlüssig gegenüber, dann trat Cendrine an Elias vorbei und verließ das Schlafzimmer. Im Hinausgehen fielen ihr einige Ketten mit Holzperlen und Federn auf, außerdem ein paar glänzende Reife, die auf einer Kommode lagen. Ansonsten verriet nichts, daß dieser Raum auch von einer Frau bewohnt wurde. Aber Nanna war eine Herero. Ihre Kultur kannte keine Schminktische und Spiegel.
Cendrine ging in die winzige Kammer, in der Elias eine Liege für sie aufgestellt hatte. Die San hatten ihre Koffer und Taschen aufeinandergetürmt, und Cendrine brauchte eine Weile, ehe sie die Kleidung fand, die sie suchte: eine khakifarbene
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