Göttin der Wüste
Seine Silhouette schien in steter Bewegung zu sein, so als sauge etwas an den Rändern, etwas, das ihn zurück nach wer weiß wohin ziehen wollte. Seine braune Haut schlug Wellen, sah aus wie die Oberfläche kochenden Öls.
»Zurück!« brüllte er, und Cendrine las das Wort mehr von seinen Lippen, als daß sie es verstand. Es klang wie ein Schmerzensschrei.
»Zurück …«
Und diesmal tat sie, was er von ihr verlangte. Sie wandte dem Tal und dem, was darin liegen mochte, den Rücken zu und rannte los. Hinter ihr, jenseits der Sandkuppe, schossen die Stoffbahnen wie ein Feuerwerk empor, Fangarme eines zornigen Oktopus, die ins Leere griffen.
Stolpernd lief sie den Hang hinunter, den nächsten wieder empor und jenseits davon in die Senke aus Finsternis, in die Qabbo hinabgestiegen war.
Als sie im nächsten Augenblick in ihrem Bett erwachte, war die Finsternis noch eine ganze Weile länger um sie, ehe sie schließlich auseinanderstob wie eine Wolke aus Kohlenstaub.
Cendrines Atem raste, und ihr Körper war schweißgebadet. Das weiße Laken, das sie bedeckte, schien ihr einen Moment lang wie etwas, das ihr aus dem Traum gefolgt war, ein tastender Arm aus Tuch, der sie zurückzerren wollte an diesen fernen, fremden Ort in der Weite des Dünenmeeres. Die Bewegung, mit der sie die Decke zurückschlug, war voller Furcht und abgrundtiefer Abscheu.
Dann bemerkte sie, daß etwas in ihre Füße stach. Als sie sich vorbeugte, sah sie, daß es Sand war.
Wüstensand zwischen ihren Zehen.
KAPITEL 5
Nanna kehrte am frühen Abend des nächsten Tages zurück, und Cendrines Erstaunen bei ihrem Anblick hätte kaum größer sein können. Sie hatte ihre Schwägerin wohl eine halbe Minute stumm angestarrt, als Nanna schließlich mit breitem Lächeln sagte: »Du mußt Cendrine sein.«
»Und du Nanna.«
Beide nickten gleichzeitig, was die junge Herero mit einem amüsierten Lachen zur Kenntnis nahm. »Schön, dich endlich kennenzulernen«, sagte sie und reichte Cendrine die Hand. »Elias hat so viel über dich erzählt.«
»O ja?« Ich wünschte , ich könnte das gleiche von dir behaupten.
Sie hatte auf einem Stuhl auf der Veranda gesessen und in einem der Bücher gelesen, die sie mit auf die Reise genommen hatte. Es war der Bericht eines Forschers, der als einer der ersten in die Kalahari vorgedrungen und als einer der wenigen von dort zurückgekehrt war.
Jetzt stand sie auf und ergriff Nannas ausgestreckte Hand. Der Händedruck der zierlichen Herero war kräftig wie der eines Mannes, und ihr Lächeln unterstrich die Herzlichkeit, mit der sie die Schwester ihres Mannes begrüßte.
Ein einziger Blick auf die junge Frau genügte, und Cendrine verstand sofort, warum Elias sich in sie verliebt hatte. Nie zuvor war ihr eine Frau begegnet, die mädchenhaftes Mysterium und frauliche Schönheit in solcher Vollendung in sich vereinte.
Nanna war so groß wie Cendrine, aber sie trug enge khakifarbene Leinenhosen, die ihre langen, schlanken Beine betonten. Ihre Brüste wirkten selbst unter dem Stoff ihres Hemdes groß und aufreizend. Anders als viele Frauen und Männer ihres Volkes hatte sie ein feingeschnittenes Gesicht, ohne die vorspringenden Wangenknochen ihrer Brüder und Schwestern. Cendrine fiel auf, wie schön und ebenmäßig das Braun ihrer Haut war; bislang hatte sie sich nie Gedanken darüber gemacht, doch jetzt empfand sie die Hautfarbe einer Eingeborenen zum erstenmal als ungemein attraktiv. Selbst Nannas volle Lippen, die so gar nicht dem europäischen Schönheitsideal entsprachen, unterstrichen nur, wie hübsch sie war.
Nanna hatte ihr pechschwarzes Haar zu vier Zöpfen geflochten, die am Ansatz breit waren, nach unten hin aber immer spitzer ausliefen. Zwei hingen lang bis über ihre Schulterblätter, die beiden anderen flankierten eng ihr Gesicht und verdeckten dabei die Augenwinkel; sie erinnerten ein wenig an Hörner. Ihr übriges Haar, das nicht in die Zöpfe eingeflochten war, hatte sie auf Fingerbreite kurzgeschoren. Es war die bemerkenswerteste Frisur, die Cendrine je gesehen hatte – nicht einmal die Eingeborenen daheim in Windhuk trugen ihr Haar auf diese Weise –, und wahrscheinlich hätte sie an niemandem so faszinierend ausgesehen wie an Nanna.
Wie bei allen Herero waren ihre oberen Schneidezähne künstlich zugespitzt, die unteren hatte man wahrscheinlich – so war es bei ihrem Volk Sitte – während eines Rituals im achten oder neunten Lebensjahr gänzlich entfernt.
»Elias ist nicht da«, sagte
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