Göttin der Wüste
Cendrine und kam sich dabei ein wenig einfältig vor.
»Ich weiß«, erwiderte Nanna. »Ich hab ihn auf dem Markt getroffen. Er hat mir gesagt, daß ich dich hier finden würde.«
Cendrine hatte gewiß kein unterwürfiges, verschrecktes Mädchen erwartet, dafür kannte sie Elias viel zu gut, doch nun erschrak sie fast angesichts der Kraft und Bestimmtheit, die Nanna ausstrahlte. Eben noch hatte Cendrine gedankenverloren dagesessen, in ihre Lektüre über die Kalahari vertieft und doch in Gedanken ganz weit weg, verloren in Grübeleien über den Traum der letzten Nacht; jetzt aber war all das wie weggewischt. Nannas Anwesenheit beanspruchte sie völlig.
Die Herero beugte sich vor und warf einen interessierten Blick auf das Buch. »Die Kalahari ist eine sonderbare Gegend«, sagte sie, als sie sich wieder aufrichtete.
»Vor allen Dingen tödlich, wenn man glaubt, was in dem Buch steht.«
Nanna zuckte die Achseln. »Zauberland.«
»Wie meinst du das?«
»Schon gut«, meinte Nanna lachend und winkte ab. »Du weißt doch, wir Eingeborenen reden manchmal solche Dinge.«
»Natürlich. Und wir Weißen sind Menschenschinder, die nichts Besseres zu tun haben, als von morgens bis abends unsere Peitschen zu schwingen.«
Nanna legte den Kopf schräg. »Ich weiß, daß ihr nicht so seid.«
»Und ich weiß, daß ihr Eingeborenen nicht einfach Dinge redet. «
Die junge Herero nickte, und einen Moment lang schien sie tatsächlich betroffen. »Tut mir leid«, sagte sie dann. »Ich wollte dich nicht verärgern.«
Wie schaffte Nanna es nur, sich zu entschuldigen und trotzdem kein bißchen Schwäche zu zeigen? Cendrine seufzte, weil sie plötzlich ihre eigene Wut nicht mehr verstand. »Das war kein guter Anfang für uns zwei, nicht wahr?«
»Versuchen wir’s noch einmal?«
Cendrine lächelte, dann umarmte sie Nanna. Sie spürte sofort, daß die junge Frau die Geste nicht allein aus Höflichkeit erwiderte.
»Wie kommt es, daß du unsere Sprache so gut beherrschst?« fragte Cendrine.
»Dein Bruder hat sie mir beigebracht.« Stolz schwang in ihrem Tonfall mit, nicht auf sich selbst, sondern auf Elias. »Er sagt, ich lerne schnell.«
»Das ist phantastisch … ich meine, man hört nicht einmal einen Akzent!«
»Meine Leute sagen, ich habe einen deutschen Akzent.«
Cendrine lächelte – bis sie bemerkte, daß Nanna sehr ernst blieb.
»Ist das schlimm? ich meine, blickt deine Familie deshalb auf dich herab?«
»Genaugenommen blickt sie an mir vorbei.« Es klang nicht verbittert, nur wie eine einfache Feststellung.
»Aber Elias sagte, du wärest für mehrere Tage bei ihnen gewesen. Wie können sie –«
Nanna fiel ihr sanft ins Wort. »Sie reden mit mir, aber sie sehen mich nicht dabei an.«
»Weil du mit einem Fremden verheiratet bist?«
»Weil ich ihrer Ansicht nach eine Fremde geworden bin.«
Cendrine fand das absurd; ihr selbst schien es, als hätten in Nanna alle Wunder Afrikas Gestalt angenommen. Wann nur würde sie endlich beginnen, dieses Land und seine Menschen auch nur im Ansatz zu begreifen?
»Wollen wir einen Spaziergang entlang der Klippen machen?« fragte sie.
Nanna wirkte erfreut. »Gern.«
Bald darauf, nachdem Nanna sich höflich nach Cendrines Reise erkundigt hatte – und dabei kein Wort mehr über ihre Familie verlor –, fragte Cendrine noch einmal: »Was hast du vorhin gemeint, als du die Kalahari Zauberland genannt hast?«
»Du interessierst dich wohl sehr dafür?«
»Ich interessiere mich nur für das Land, in dem ich jetzt lebe. Sollte das nicht jeder tun?«
»Gewiß.« Nanna schien einen Augenblick lang zu überlegen, dann sagte sie: »Es gibt viele Legenden über die Kalahari. Viele sonderbare Geschichten.«
»Erzählst du sie mir?«
»Ich bin eine Herero. Die Kalahari ist das Land der San. Die San wissen hundertmal mehr darüber als ich.«
Cendrine lächelt beschämt. »Wir Weißen tun uns immer noch schwer damit zu akzeptieren, daß eure Völker sich alle völlig voneinander unterscheiden.«
»Die San und die Herero, die Nama und Ovahimba und all die anderen … uns alle verbindet nur unsere Hautfarbe, und die wird von uns selbst gar nicht als Merkmal wahrgenommen. So wie ihr Europäer untereinander nicht auf eure Hautfarbe schaut.«
Die Sonne stand nur noch eine Handbreit über dem Ozean und brannte eine goldene Glutbahn über die Wellen bis zur Küste. Im Osten dämmerte es bereits. Elias würde bald heimkehren und sich wundern, wohin die beiden Frauen verschwunden
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