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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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feilschten. Einige Männer aus dem Dorf hatten in einem Wrack ein paar Münzen gefunden, von denen sie behaupteten, es handle sich um spanische Dublonen; ein Händler aus Swakopmund beschimpfte sie als Betrüger, zeigte aber dennoch großes Interesse an den Fundstücken. Bald entzündete sich zwischen ihm und einem der Goldsucher eine handfeste Prügelei, die erst nach einigen Minuten von den Soldaten der Eskorte geschlichtet wurde.
    Elias stellte Cendrine dem Hauptmann des Begleittrupps vor. Ihr wurde schnell klar, daß der Hauptmann sich regelmäßig von Elias bestechen ließ; er war es auch, der das Gold, mit dem die Archäologen Elias’ Waren bezahlten, auf der Bank in Zesfontein deponierte. Die Geschäftsbeziehung der Männer war für beide von Vorteil, und so war es kein Wunder, daß sich der Hauptmann ohne Zögern bereit erklärte, Cendrine als neues Mitglied der Karawane zu begrüßen. Elias legte ihm ihr Wohlergehen besonders ans Herz – und zahlte dafür verstohlen ein zusätzliches Entgelt, dessen Höhe Cendrine nicht erkennen konnte.
    Am nächsten Morgen nahm sie von Elias und Nanna Abschied. Als sie und ihr Bruder sich umarmten und Elias ihr schwor, sie vielleicht noch in diesem, sonst aber auf jeden Fall im nächsten Jahr in Windhuk zu besuchen, überkam sie noch einmal das Gefühl, das sie schon nach ihrer letzten gemeinsamen Nacht verspürt hatte: ein irritierender Augenblick tiefer, unverhohlener Abneigung. Sie erschrak so sehr darüber, daß sie in Tränen ausbrach, doch das Gefühl – das nicht ihr eigenes war, nicht ihr eigenes sein durfte – verging im selben Augenblick, da Nanna ihr von hinten eine Hand auf die Schulter legte. Sekundenlang wußte Cendrine nicht mehr, was sie stärker ängstigte: die fremde, grundlose Wut auf ihren Bruder oder die unerklärliche Lähmung aller Emotionen, die sie bei Nannas Berührung überkam.
    Auch Nanna umarmte sie, während Elias ihr Gepäck aus dem Haus trug, und sie wisperte etwas in einer fremden Sprache in ihr Ohr.
    »Was bedeutet das?« flüsterte Cendrine, während sie sich festhielten.
    »Zauberland«, gab Nanna leise zurück, »in der Sprache meiner Väter.«
    »Woher weißt du –«
    »Daß du nicht den Weg nach Windhuk einschlagen wirst?«
    Nanna lächelte. »Ist das so schwer zu erraten?«
    Cendrine schaute ihr lange in die Augen, und erst als Elias zurückkehrte, lösten sich ihre Blicke widerstrebend voneinander. Wieder hatte Cendrine das Gefühl, keinem gewöhnlichen Menschen gegenüberzustehen, sondern der Essenz dieses Landes, Afrikas Rätseln als Geschöpf aus Fleisch und Blut.
    »Die Männer wollen aufbrechen«, sagte Elias.
    »Ich komme«, gab Cendrine mit belegter Stimme zurück und setzte ihren Sonnenhut auf. Sie versuchte, Nannas Blick kein weiteres Mal zu kreuzen, aus Angst, sie könnte plötzlich Dinge darin lesen, von denen sie nichts wissen wollte. Nicht jetzt.
    Nanna hatte ihr eine ihrer engen Hosen geschenkt, die so untypisch waren für eine Eingeborene. Sie paßte Cendrine weit besser als jene, die sie auf der Hinreise in Outjo gekauft hatte. Im Gegensatz zum Hinweg würde sie die nächsten Tage nicht in einer Kutsche verbringen, sondern auf dem Rücken eines Pferdes. Der Hauptmann hatte ihr angeboten, statt dessen auf einem der Kamele zu reiten, doch Cendrine hatte den Vorschlag dankend abgelehnt. Zu deutlich war ihr noch der schmerzhafte Ritt zur Ausgrabungsstätte in Erinnerung.
    Die Karawane hatte am Fuß der Klippen Aufstellung genommen. Nanna blieb am oberen Felsrand zurück und blickte Cendrine stumm hinterher, während Elias sie bis zum Pferd begleitete und ihr sogar noch beim Aufsteigen behilflich sein wollte. Nur mit Mühe konnte Cendrine ihn überzeugen, daß sie dazu durchaus allein in der Lage war.
    Der Hauptmann gab den Befehl zur Abreise, und so setzte sich der Troß der Händler und Soldaten in Bewegung, alles in allem gut fünfzig Menschen und fast die dreifache Anzahl an Kamelen und Pferden. Der Lärm der Gespräche und das Schnauben und Wiehern der Tiere übertönte den Wind, der durch die Felsklüfte pfiff, und sogar das Rauschen der Brandung verklang irgendwo jenseits der Dünen.
    Als Cendrine zurückschaute, stand Elias einsam da und winkte, während Nanna oben auf der Klippe mit dem dunklen Fels verschmolz, für kurze Zeit zu Fleisch geworden und nun wieder eins mit dem Stein, dem Sand, mit Afrika.

KAPITEL 6
    Der ewige Wind, der um die Auasberge und die Dächer Windhuks wehte, hatte in den letzten Wochen

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