Göttin der Wüste
zugenommen. In den Nächten jagten Stürme um die Giebel des Kaskaden-Anwesens, und die Gärtner hatten jeden Morgen alle Hände voll damit zu tun, entwurzelte Büsche und Laubwerk auf der Akazienwiese hinter dem Ostflügel zu verbrennen.
Adrian stand im Erker von Cendrines Schlafzimmer und blickte hinaus auf die Rauchfahne, die bereits wenige Meter über dem Boden zerfaserte. Die Windböen trieben den Dunst zum Haus herüber, seit Tagen schon setzte sich der Brandgeruch in den Zimmern und Korridoren fest.
Das Feuer loderte dort, wo einst der Termitenhügel gestanden hatte. Adrian hatte beobachtet, daß es immer noch ganze Scharen der Insekten an diesen Ort zog, lange traurige Termitenzüge, die sich aus allen Richtungen durchs Gras bewegten. Daß die San-Arbeiter trotzdem immer wieder diese Stelle für ihr Laubfeuer nutzten, erstaunte ihn; es lag noch nicht lange zurück, da war ihnen dieser Ort heilig gewesen. Die Tatsache, daß sie es den Termiten nicht erlaubten, sich noch einmal an derselben Stelle anzusiedeln, konnte nur darauf zurückzuführen sein, daß die San den Platz jetzt für einen Ort des Unglücks hielten. Adrian hatte längst begonnen, ihre Meinung zu teilen.
Sein eigenes Verhältnis zu den San war immer noch gespalten. Er hatte Freunde unter ihnen, wenn auch längst nicht so viele, wie seine Mutter vermutete, und er ehrte und schätzte ihre Kultur; zugleich aber konnte er Haupts Vorbehalte gegen die San durchaus nachvollziehen. Der Pfarrer hatte gute Gründe, das Treiben der Buschleute abzulehnen, und Adrian war sich bewußt, daß er selbst längst daran zugrunde gegangen wäre, hätte Haupt ihn damals nicht gewarnt und unter seine Fittiche genommen.
Der Tod von Haupts Bruder Wilhelm war kein Zufall gewesen. Auch in ihm hatten die San jene Begabung vermutet, die in Adrian und Cendrine schlummerte. Damals hatte es niemanden gegeben, der Wilhelm vor den Zeremonien warnte; geschmeichelt über die Aufmerksamkeit und Ehrerbietung, die die San ihm zukommen ließen, war er auf ihr Angebot eingegangen: die Teilnahme an den rituellen Prüfungen der San-Schamanen. Wilhelm hatte die Torturen nicht durchgestanden, und ohne Haupts Hilfe wäre es Adrian genauso ergangen.
Ihm selbst – und zweifellos auch Cendrine.
Adrian hatte sie über ihre Fähigkeiten aufgeklärt, in der Hoffnung, damit den San zuvorzukommen. Haupt war wütend gewesen, doch schließlich hatte er eingesehen, daß es die einzige Möglichkeit war. Auch als Cendrines Talente begonnen hatten, im Angesicht des Termitenbaus ein Eigenleben zu entwickeln, war Adrian eingeschritten.
Doch wie erfolgreich waren all seine Versuche, Cendrine in Schutz zu nehmen, tatsächlich gewesen? Er suchte bis heute nach einer Antwort darauf. Er hatte Angst um sie, weit mehr, als er sich eingestehen mochte, und der Gedanke, daß sie jetzt irgendwo dort draußen war, auf sich allein gestellt und den Mächten in ihrem Inneren vollkommen ausgeliefert, tat ihm weh.
Das schlimmste aber war im Grunde gar nicht Cendrines Eigensinn. Das Problem war vielmehr Adrian selbst. Seine Gefühle für sie. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, seine Mutter zu überzeugen, Cendrine nach Hause zu schicken. In Deutschland wäre sie sicher gewesen, wenigstens vermutete er das. Doch so einfach war es nicht, sie aufzugeben. Er wollte nicht, daß sie zurück nach Bremen ging, unglücklich und allein, wenn es hier eine Familie gab, die sich um sie kümmerte. Eine Familie, die sie in ihr Herz geschlossen hatte. Und Adrian, in dessen Leben sie längst den Mittelpunkt einnahm.
Das waren egoistische Motive, sicher, und sie quälten ihn seit Monaten. Alles, was Cendrine zustoßen mochte, war in gewisser Weise seine Schuld. Es hätte in seiner Macht gestanden, Cendrine in Sicherheit zu bringen, auch gegen ihren Willen. Aber es widerstrebte ihm, sie zu hintergehen – selbst, wenn es zu ihrem Besten war –, und wer war er schon, sich als Wohltäter aufzuspielen, der für sie ihr Leben in die Hand nahm?
Er fragte sich, wo sie im Augenblick steckte. Wenn alles gutgegangen war, bei ihrem Bruder, natürlich. Doch die Vorstellung der Entfernung, die zwischen ihnen lag, brachte ihn fast um den Verstand. Schon in Windhuk war sie unter den Einfluß der San geraten. Wie groß war da erst das Risiko während einer solchen Reise? Die San waren überall im Land, und Adrian wußte genug über sie, um sicher zu sein, daß sie ihr folgen würden. So schnell gaben sie nicht auf. Nicht, wenn es um jemanden mit
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