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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Qabbo und Cendrine mochten sie klarer wahrnehmen, deutlich und über alle Zweifel erhaben, doch für Adrian blieben sie vage und fern. Dennoch war er überzeugt: Jemand rief nach Cendrine, jemand, der mächtig genug war zu wissen, daß sie noch am Leben war. Und vor allem das war es, was Adrian weiter hoffen ließ.
    Cendrine lebte. Mußte leben.
    Er hatte lange darüber nachgedacht, um wen es sich bei der geheimnisvollen Ruferin handeln mochte. Eine Antwort hatte er nicht gefunden. Gab es irgendwo eine Schamanin, die weit mächtiger war als Qabbo und die übrigen Weisen? Wenn dem so war, so hatte Adrian nie von ihr gehört, und fast bezweifelte er, daß Qabbo davon wußte. Alles sprach dafür, daß eine Unbekannte das Spielfeld betreten hatte. Welche Interessen vertrat sie? Was wollte sie von Cendrine? Und wie stark war der Sog tatsächlich, den Adrian verspürte, wenn seine Gedanken ihre Signale berührten? Die Rufe galten nicht ihm, trotzdem spürte er den Zwang, der von ihnen ausging. Wie mußten sie da erst auf Cendrine wirken? War sie überhaupt noch Herr ihrer eigenen Entscheidungen?
    All diese Fragen hatten sich in den vergangenen Tagen in ihm aufgestaut, und er fand es immer unerträglicher, untätig dazusitzen und abzuwarten. Seine Hilflosigkeit trieb ihn zur Verzweiflung. Mehr als einmal war er versucht gewesen, einfach auf sein Pferd zu springen und Cendrine zu folgen. Doch er glaubte nicht, daß sie sich tatsächlich noch bei ihrem Bruder aufhielt. Wenn er die Lage richtig einschätzte, war sie längst wieder unterwegs. Aber wohin? Selbst wenn er eine Idee gehabt hätte, war ihr Vorsprung von fast drei Wochen nicht aufzuholen.
    Draußen vor dem Erkerfenster brannte das Laubfeuer allmählich herunter. Als nur noch glühende Asche übrig war, gossen die Gärtner Wasser aus hölzernen Eimern in die Glut; bei diesem Wind war ein Flächenbrand schnell entfacht und würde innerhalb von Minuten auf das Haus, in wenigen Stunden auf Windhuk übergreifen. Das fehlte gerade noch, dachte Adrian bitter.
    Er verließ Cendrines Zimmer – nicht ohne sich an der Tür noch einmal umzusehen und das, was an sie erinnerte, in sich aufzunehmen –, dann ging er hinunter ins Erdgeschoß. Er wollte ein wenig durch die Weinberge streifen, vielleicht kam ihm dort irgendein neuer Gedanke. Er machte sich etwas vor, das wußte er, aber alles war besser als diese verfluchte Untätigkeit.
    Sein Vater stand unten in der Eingangshalle und hörte einem Eingeborenen zu, der mit fuchtelnden Armen und wildem Blick auf Titus einredete. Dabei bewegte sich sein Mund so hastig, und er trat so aufgeregt von einem Fuß auf den anderen, daß es Adrian unmöglich war, die Worte von seinen Lippen zu lesen.
    »Um was geht es?« fragte er deshalb seinen Vater.
    Titus nahm sein Eintreten mit Erleichterung zur Kenntnis. »Gott sei Dank, Adrian! Versuch du mit ihm zu sprechen. Der Kerl raubt mir den letzten Verstand.«
    »Er redet zu schnell.«
    Titus nickte, dann packte er mit unvermuteter Schnelligkeit einen der umherwirbelnden Arme des Eingeborenen und hielt ihn sanft, aber nachdrücklich fest. Dabei wandte er Adrian sein Profil zu, so daß dieser nur bruchstückhaft verstehen konnte, was Titus zu dem kleinen Mann sagte. Offenbar machte er ihm klar, alles weitere mit Adrian zu besprechen – und dabei langsam und verständlich zu reden.
    »Bring du ihn zur Vernunft«, sagte Titus schließlich und ließ den San los. »So einen Haufen Unsinn habe ich lange nicht mehr gehört.«
    Damit machte er kopfschüttelnd kehrt und verschwand durch die Tür zum Ostflügel. Adrian nahm an, daß er durchs Treppenhaus zur Galerie hinaufgehen würde. Während der wenigen Wochen im Jahr, die Titus zu Hause verbrachte, hielt er sich gerne dort oben auf. Er hatte einmal gesagt, er wolle seinen Gedanken die Gesellschaft der vielen Bücher nicht vorenthalten.
    »Also, was ist los?« wandte Adrian sich an den Schwarzen, einen San, den er noch nie hier gesehen hatte.
    »Große Gefahr!« entfuhr es dem Mann. Seine Arme gerieten wieder in Bewegung, gestikulierten aufgebracht in der Luft umher. Offenbar war er wütend, daß Titus seinen Worten keinen Glauben geschenkt hatte. »Große Gefahr von Osten!«
    »Was meinst du?«
    »Heuschrecken! Viele, viele Millionen davon!« Die Augen des San waren weit aufgerissen, weiße Kreise inmitten seines schwarzen Gesichts. »Sie kommen aus der Großen Wüste. Von Osten. Mein Herr hat mich geschickt, um zu warnen.«
    »Wer ist dein

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