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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Titus selbst kannte, war sein Tonfall mit einemmal voller Stolz. »Vielleicht hast du recht Junge. Intuition ist immer etwas Gutes.« Er ließ seinen Blick sekundenlang durch die Galerie streifen. »Das alles hier ist das Resultat von Intuition. Ich habe immer darauf vertraut.«
    »Dann glaubst du, was der San gesagt hat?«
    Titus faßte Adrian bei den Schultern und sah ihm in die Augen. »Nicht ein Wort. Aber ich bin froh, daß du kein so verbohrter alter Mistkerl bist wie ich, Adrian, und ich bin froh, daß du ihm glaubst. Womöglich wäre es wirklich ein Fehler, die Warnung in den Wind zu schlagen.«
    Adrian überlegte einen Moment, was er darauf erwidern sollte, als plötzlich Salome und Lucrecia die Wendeltreppe am Westende der Galerie heraufgehüpft kamen.
    »Wo kommt ihr denn her?« fragte Titus verblüfft und auch ein wenig ungehalten. Am Fuß der Treppe lag das alte Arbeitszimmer von Lord Selkirk, und Titus schätzte es nicht, wenn die Mädchen dort spielten.
    Die Zwillinge waren offenbar so vertieft in ihr Treiben, daß sie die Männer erst jetzt bemerkten. Lucrecia, die Salome folgte, hatte sich eine smaragdfarbene Tischdecke um die Schultern geworfen.
    »Oh, Vater!« entfuhr es Salome, und Lucrecia prallte von hinten gegen sie. Beide Mädchen stolperten einige Schritte vorwärts, doch noch immer lag die halbe Länge des Saales, mehr als fünfzehn Meter, zwischen ihnen und den Männern.
    »Wir … wir spielen nur«, rief Lucrecia.
    »Kommt einmal her«, verlangte Titus, und Adrian bemerkte amüsiert, daß sein Vater die linke Augenbraue hochzog, wie immer, wenn er streng und unerbittlich erscheinen wollte.
    Die Mädchen kamen langsam näher.
    »Also«, begann Titus, »was habe ich euch über das alte Arbeitszimmer gesagt?«
    »Daß wir da nicht spielen dürfen«, preßte Salome hervor und schaute zu Boden.
    Lucrecia trat von einem Fuß auf den anderen und zupfte an den Rändern der grünen Decke. »Aber es war doch wichtig«, brachte sie mürrisch hervor.
    »So? Darf man erfahren, weshalb?«
    Salome sah ihn plötzlich an, das Kinn vorgestreckt, die Stupsnase kühn erhoben. »Es war eine Jagd. Ich mußte weglaufen und mich verstecken, damit mich die Heuschrecke nicht fängt.«
    Adrian und Titus wechselten einen irritierten Blick.
    »Die Heuschrecke?« fragte Titus gedehnt.
    Lucrecia nickte und zeigte auf den grünen Stoff um ihre Schultern.
    »Das bin ich.«
    »Wie kommt ihr auf so was?« fragte Adrian.
    Die Mädchen sahen sich an, offenbar wollte keine so recht mit der Sprache herausrücken.
    »Los, erzählt schon«, forderte Adrian sie auf.
    »Wir haben es von den Eingeborenen gehört«, sagte Lucrecia, und Salome fügte nickend hinzu: »Die Heuschrecken kommen.« Sie holte kurz Luft, dann rief sie aufgeregt: »Oh, Vater, dürfen wir zusehen, wenn die Heuschrecken kommen? Dürfen wir? Bitte, bitte!«
    Titus atmete tief durch, und auch Adrian spürte einen Kloß im Hals. So schnell konnte sich die Nachricht des Boten unmöglich herumgesprochen haben. Würde man freilich die San danach fragen, bekäme man nur zu hören: Wir spüren es.
    »Dürfen wir zusehen?« quengelte Salome weiter.
    Titus räusperte sich. »Ihr dürft auf eure Zimmer gehen und in euren Schulbüchern lesen.«
    »Och, Vater …«Jammerte Lucrecia, und Salome fiel mit ein.
    Titus ging in die Hocke und nahm beide in die Arme. Adrian sah das glückliche Lächeln, das die Unruhe vom Gesicht seines Vaters vertrieb, und einen Moment lang war er zutiefst gerührt von der Intensität der Liebe, mit der Titus den beiden Mädchen begegnete. Ganz kurz kam etwas wie Neid in ihm auf – weder Valerian noch er selbst hatten je ein solches Maß an Zuneigung von ihrem Vater erfahren –, doch das Gefühl verging so schnell, wie es gekommen war. Es war unmöglich, die Mädchen nicht lieb zu haben, schon gar nicht, wenn sie so trotzig und wütend aussahen.
    Nachdem Titus die beiden losgelassen hatte, trat Adrian vor und legte jedem der Mädchen eine Hand auf die Schulter. »Kommt jetzt, verschwindet!«
    Titus lächelte schief. »Intuition, hm?«
    Nach kurzem Zögern sagte er nur: »Ja, Vater.« Dann ging er mit den Mädchen davon.
    Gedankenverloren lieferte er die beiden vor ihren Zimmern im Nordflügel ab. Lucrecia nahm die Decke von ihren Schultern und knüllte sie achtlos zusammen.
    »Was wollen die Heuschrecken eigentlich von uns?« fragte Salome.
    Adrian streichelte über ihr Haar. »Sie haben Hunger.«
    »Fressen sie Menschen?« fragte

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