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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lucrecia.
    Adrian ging vor ihr in die Hocke. »Haben das die Diener gesagt?«
    Lucrecia schüttelte den Kopf.
    »Bestimmt nicht?« fragte er.
    Noch ein Kopfschütteln.
    »Gut«, meinte er und erhob sich. »Nein, Heuschrecken fressen keine Menschen. Nur Pflanzen.«
    Aber in Wahrheit glaubte er nicht, daß die Heuschrecken die Wüste der Pflanzen wegen verlassen hatten. Es mußte einen anderen Grund geben.
    Während er den Flur hinabging, begann er erneut, sich Fragen zu stellen: Wenn es in der Kalahari genug Nahrung für die Heuschrecken gab, was hatte sie dann von dort vertrieben? Waren sie vor etwas auf der Flucht?
    Und wenn ja, wovor?
    ***
    Die Heuschrecken kamen zwei Tage später, und alle Befürchtungen, die die Warnungen Schindlers heraufbeschworen hatten, erwiesen sich als wahr.
    Ob es Millionen waren, Milliarden oder gar ein Vielfaches mehr, vermochte niemand zu sagen.
    Die wenigsten wagten es, überhaupt einen Blick ins Freie zu werfen. Für die meisten Bewohner des Anwesens unterschied sich der Überfall der Heuschrecken kaum von einem heftigen Gewitter: Der Himmel verdunkelte sich, und dann, während man sich noch irgendwo im Inneren des Hauses verkroch, erfüllte ein trommelndes Donnern die Luft.
    Der Lärm hielt fast eine Stunde an. Niemand – auch nicht die Ältesten unter den San – hatte je von einem Heuschreckenangriff gehört, der so lange gedauert hatte.
    Die Luft war erfüllt von einem Knistern und Kreischen, das man für elektrische Entladungen hätte halten können, vom Schaben einer See aus Insektenbeinen, die über Dächer und Steine und Fensterscheiben hereinbrach; kleine harte Körper, die wie Hagelschauer gegen die Fassaden prasselten; Flügel, die raschelnd und summend vibrierten.
    In den meisten Zimmern gab es im Inneren hölzerne Läden, die von den Dienern geschlossen worden waren; selbst dort, wo das Glas unter dem Ansturm der Insektenschwärme splitterte, verirrten sich nur wenige Tiere ins Haus. Zahlreiche Eingeborene hatten in den Ställen, den Weinkellern und in den beiden Eingangshallen Unterschlupf gesucht, und Titus hatte ihnen, trotz Madeleines unglücklicher Miene, bereitwillig Zutritt gewährt. Einige waren auch im Dorf geblieben, jene, die in der Heuschreckenplage eine Strafe oder ein Zeichen der Götter sahen. Was aus ihnen geworden war, erfuhr Adrian erst Stunden später, nachdem die ersten Diener durch die verwüsteten Weinberge zum Dorf gelaufen waren. Einige kehrten bald zurück und beschrieben ein Schreckensszenario: Nur die gemauerten Hütten standen noch, alle anderen waren unter dem anbrandenden Insektenansturm zusammengebrochen. Ein halbes Dutzend Menschen waren ums Leben gekommen, erstickt, als die Heuschrecken sie zu Zigtausenden unter sich begruben. Die Überlebenden, die die Zerstörung mitangesehen hatten, faselten vom Untergang der Welt und davon, daß aller Ende kurz bevorstand – ein Ende, das von Osten kam und dem die Heuschrecken nur als Vorboten dienten.
    Das Tal selbst war zur Wüste geworden. Alles, was Blätter getragen hatte, war kahl gefressen, oftmals samt aller Zweige und Sprößlinge. Was mit den Weinreben geschehen sollte, blieb vorerst unklar; erst mußte festgestellt werden, wie viele noch einigermaßen unversehrt waren. Die Akazien hinter dem Ostflügel waren nur noch abgenagte Baumgerippe, die meisten Hecken im Garten gänzlich verschwunden.
    Während die Diener im Haus daran gingen, verirrte Heuschrecken aufzustöbern und zu töten, und während sich die Stallknechte alle Mühe gaben, die Pferde in den verbarrikadierten Stallungen zu beruhigen, streifte Adrian schweigend über das Schlachtfeld, in das sich das Tal verwandelt hatte.
    Schließlich machte er sich auf, den höchsten Berg der Umgebung zu erklimmen. Von dort aus blickte er nach Osten, nur den Wind als Gesellschaft, dessen Flüstern er nicht hören konnte, und er fragte sich, ob die Dunkelheit, die er hinter dem Horizont erahnte, wirklich nur der hereinbrechende Dämmer des Abends war.

DRITTER TEIL
DIE WÜSTE

KAPITEL 1
    Wenn die Luft so stark flimmert, daß das Blau des Himmels wie schmelzendes Eis aussieht, dann bist du in der Omaheke.
    Wenn sich der Sand unter deinen Füßen sogar durch deine Schuhsohlen anfühlt, als marschiertest du über eine Ofenplatte, dann weißt du, du gehst durch die Omaheke.
    Und wenn dein Durst beginnt, zu dir zu sprechen und dir von Quellen und kühlem Regen erzählt, dann sei sicher, die Omaheke hält dich längst in ihrem Griff und gibt dich

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