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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht los.
    GROSSER GOTT, ICH KOMME NICHT LOS!
    »Du mußt es nur wollen.« Das war Qabbos Stimme. »Du mußt es wollen mit all deiner Kraft!«
    Es war so schwer, sich auf die Worte zu konzentrieren, so schwer zu verstehen, was sie ihr sagen wollten. Sie gab es auf, sandte ihre Kräfte nicht länger nach außen, richtete sie vielmehr auf ihr Inneres, zog sich selbst aus diesem Mahlstrom aus Panik und Verzweiflung.
    Ihre Kopfhaut hörte auf, weh zu tun, als sich der Griff um ihre Haare löste. Der Druck auf ihre Brust verschwand, und auch ihr Bein kam frei.
    Sie mußte nur aufhören, der Welt um sich herum Bedeutung beizumessen. Die Toten, die Wüste, sogar Qabbo – all das war mit einemmal unwichtig. Ihre Konzentration war wie eine Faust, die mit kräftigen Stößen alles beiseite räumte, das Cendrine von sich selbst ablenkte, von dem, was in ihr war und darauf wartete, losgelassen zu werden, sich zu wehren.
    Sie schlug die Augen auf – wann hatte sie sie überhaupt geschlossen? –, und die Wüste war wieder unversehrt. Die Toten hatten sich in Luft aufgelöst, Henochs Schlummer war ungestört wie zuvor. Cendrine kauerte im Sand neben ihrem Kamel. Das Tier stand geduldig da und sah aus, als lehne es sich gegen den Wind, damit die Böen sein Borstenfell kraulten.
    Qabbo saß auf seinem Kamel und blickte besorgt auf sie herab.
    »Alles in Ordnung?« fragte er.
    Sie blinzelte der Sonne entgegen. »Wie lange … ich meine, war ich –«
    »Zwei, drei Atemzüge lang. Du bist plötzlich aus dem Sattel gestürzt. Ich wollte gerade absteigen und nachsehen, ob du dich verletzt hast.«
    Nach kurzem Zögern schüttelte sie den Kopf. »Nichts passiert. Vielleicht lag’s nur an der Hitze.« Sie fragte sich, ob er wußte, was sie gesehen hatte. Ansonsten würde er es wahrscheinlich gerade in diesem Moment in ihren Gedanken lesen. Es sei denn, durchfuhr es sie plötzlich, sie sperrte sich dagegen. Oder versuchte es zumindest.
    Mit größter Willensanstrengung hämmerte sie sich ein, daß das, was in ihrem Kopf vorging, nicht für Qabbo bestimmt war. Und schon Sekunden später erkannte sie an der gerunzelten Stirn des San, daß ihr Versuch geglückt war. Seine Vorstöße endeten an der Sperre, die sie um ihr Denken errichtet halte.
    Das Gefühl, von den tastenden Händen der Toten berührt zu werden, war noch immer frisch und beängstigend, dennoch konnte sie den Triumph, der in ihr aufstieg, nicht unterdrücken. Zum einen war es ihr gelungen, die Kraft des Schauens unter Kontrolle zu bringen – fortan keine unfreiwilligen Visionen mehr –, zum anderen hatte sie Qabbos Gedankenlesen abgeblockt. Gründe genug, sich zu freuen.
    Qabbo sagte nichts dazu, hieb nur zerknirscht mit dem Zügel auf den Hals seines Kamels und trieb es vorwärts. Cendrine befahl ihrem Tier, sich abzulegen, sie stieg in den Sattel und folgte dem San. Das Entsetzen, das gerade noch ihren ganzen Körper beherrscht hatte, schwand dahin, und das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben, wurde stärker. Sie war stolz, gab sich zugleich aber Mühe, nicht zu euphorisch zu sein. In ihrer Lage konnte sie sich Unüberlegtheit nicht leisten.
    Auch eine Stunde später ragten immer noch vereinzelte Steinkanten und rundgeschliffene Turmspitzen aus dem Sand. Henoch mußte riesig gewesen sein. Selkirk konnte unmöglich die ganze Stadt freigelegt haben, wie er es in seinen Aufzeichnungen behauptet hatte. Cendrine fragte sich unwillkürlich, ob er auch in anderen Passagen die Unwahrheit geschrieben hatte. Warum hatte der Lord sich selbst belogen, wo doch die Niederschrift für keinen anderen bestimmt war als für ihn selbst?
    Vor ein paar Wochen, im Gespräch mit Professor Pinter, war ihr klargeworden, daß Selkirk sich nach der Entdeckung Henochs einem weiteren – und letzten – Fund in der Kalahari gewidmet hatte. Offenbar hatte er dort die Steine abtragen lassen, die in das Anwesen in den Auasbergen eingearbeitet worden waren. War dies der Ort. zu dem Qabbo sie führte? Was tat die Frau dort, deren Rufe sie hörte? Und wer oder was trieb sie derart zur Verzweiflung, daß sie sich über Hunderte von Kilometern an Cendrine, eine Fremde, wandte und sie um Hilfe bat?
    Aber tat sie das denn überhaupt? Gewiß, da waren Furcht und Ausweglosigkeit in ihren Rufen, und es war unzweifelhaft, daß die Frau Hilfe bitter nötig hatte. Aber hatte sie Cendrine auch nur einmal offen darum gebeten? Sie hatte nichts anderes getan, als ihren Namen zu rufen, Signale auszustoßen, die durch

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