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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich zu.
    Sie war zurück im Haus der Kaskadens. Während sie mit dem Rücken an der Wand lehnte und gehetzt um Atem rang, erkannte sie den Korridor wieder; sie erkannte den gemusterten Teppich, die Holzvertäfelungen und die archaischen Reliefs, die an manchen Stellen in die Wände eingelassen waren. Warm und muffig umwogte sie der Geruch von Bohnerwachs und Staub. Irgendwo dort hinten, jenseits der nächsten Ecke, lag ihr Zimmer. Sie war dem Termitenbau noch einmal entkommen – dem Bau und demjenigen, das Jagd auf sie machte.
    Ihr fiel auf, daß die Lampen an den Wänden nicht brannten, obwohl sie schon vor Wochen die Anweisung gegeben hatte, sie jeden Abend zu entzünden. Ansonsten wirkte alles gepflegt und reinlich. Vor den Fenstern herrschte stockfinstere Nacht, und das Toben der Winde war ohrenbetäubend; sogar das Rasseln ihres eigenen Atems wurde davon verschluckt.
    Erschöpft machte sie sich auf den Weg, ging den Korridor entlang und bog um die Ecke. Dahinter befand sich der Flur, an dem ihr Zimmer lag. Noch zehn Schritte zwischen ihr und der Tür. Sie wollte nur noch in ihr Bett fallen und schlafen. Nicht nachdenken. Keine Fragen stellen. Nur ausruhen.
    Hinter ihr wurde krachend eine Tür aufgestoßen. Der Wind jaulte auf wie ein geschlagener Hund, dann verstummte sein Klagelied für einige Augenblicke.
    Cendrine hörte ein Rascheln. Hörte schrilles, quälendes Schleifen.
    Was immer sie durch den Termitenbau gehetzt hatte, es war ihr gefolgt! Aus dem Traum heraus direkt in die Wirklichkeit. Es war hier, und es war immer noch hinter ihr her!
    Mit einem Aufschrei rannte sie los, auf die Tür ihres Zimmers zu. Schlug die Klinke nach unten, stolperte in den Raum, warf den Flügel hinter sich zu. Verharrte. Lauschte.
    Der Sturm gewann wieder an Macht. Dennoch war das Schleifen nicht zu überhören, selbst die Tür vermochte es nicht auszusperren. Auch in jeder anderen Lage hätte das durchdringende Geräusch bei Cendrine eine Gänsehaut verursacht – jetzt aber stürzte es sie in heilloses Entsetzen.
    Im Dämmerlicht des Zimmers tastete ihre Hand nach dem Schlüssel. Gott sei Dank, er steckte im Schloß! Mit zitternden Fingern drehte sie ihn herum, zweimal. Dann entfernte sie sich rückwärts von der Tür, mit zögernden Schritten, abwartend.
    Sie kam etwa bis zur Mitte des Zimmers, als ihre Ferse gegen etwas stieß, das hinter ihr am Boden lag. Aufgeschreckt wirbelte sie herum.
    Es war ein Ding mit Hörnern. Ein Stofftier. Ein Schafs- oder Ziegenbock, mit weißer Wolle überzogen. Jemand war hier gewesen und hatte ihn liegenlassen.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte Cendrine einen dunklen Fleck, wo keiner hätte sein dürfen. Auf dem Bett lag jemand. Ein Kind mit langen offenen Haaren. Ein Mädchen. Es schlief.
    Im ersten Moment glaubte sie, es sei Salome oder Lucrecia. Aber dann machte sie einen Schritt darauf zu und sah, daß die Haare des Mädchens schwarz waren.
    Etwas polterte gegen die Zimmertür.
    Kaum noch Herr ihrer selbst, sprang sie zur Tür und drückte dagegen, ehe ihr klar wurde, daß sie selbst abgeschlossen hatte.
    Es krachte erneut. Die Tür erbebte wie unter dem Ansturm eines Rammbocks, und ein langer Riß erschien in ihrer Mitte. Das Schleifen war verstummt.
    Cendrine lief zum Bett und packte das schlafende Mädchen an den Schultern. Es war in etwa so alt wie die Zwillinge, vielleicht ein, zwei Jahre jünger. Bildhübsch. An seinen Ohren baumelten goldene Herzen.
    Ein Bersten und Splittern ertönte, dann hing die Zimmertür nur noch an einem Scharnier. Der Luftzug vom Korridor strömte ins Zimmer.
    Das Mädchen schlief weiter, trotz des Lärms, trotz des heulenden Sturms vor den Fenstern. Cendrine schrie es an, schüttelte es, wollte es hochreißen und in irgendeine sichere Ecke tragen – als es plötzlich die Augen öffnete.
    Das Mädchen schaute auf, aber es nahm Cendrine nicht wahr. Blickte einfach durch sie hindurch.
    »Kimberly!«
    Eine schrille Stimme hinter Cendrine! Und dann wieder das Schleifen.
    Sie wollte das Mädchen hochheben und an sich drücken, wollte es wirklich, aber etwas hielt sie davon ab. Sie ließ die Kleine zurück in die Kissen fallen, als hätte sie mit einemmal alle Kraft verlassen.
    Langsam drehte sie sich um.
    Im Gegenlicht der Korridorfenster stand eine Gestalt, groß und kräftig. Cendrine sah kein Gesicht, nur eine schwarze Silhouette. Inmitten des dunklen Umrisses funkelte und blitzte etwas. Dann ertönte wieder das furchtbare Schleifen, jetzt eindeutig Stahl

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