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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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denn er drehte sich zu ihr um. »Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?«
    »Ich meinte nur, daß es traurig ist, einen Weihnachtsbaum brennen zu sehen. So früh, noch dazu.«
    »Sie halten sich niemals länger als ein paar Tage. Nicht bei dieser Hitze.«
    »Mein Bruder und ich konnten uns nie einen Weihnachtsbaum leisten«, sagte sie. »Manchmal sind er und ein paar Freunde nachts in irgendeinen Garten gestiegen und haben eine kleine Tanne für uns geschlagen, aber in den meisten Jahren hatten wir nur einen Zweig und ein paar Kerzen.«
    »Klingt idyllisch. Lassen Sie sich nicht täuschen: Die Weihnachtsfeste hier bei uns im Haus verlaufen selten so friedlich wie in diesem Jahr. Daran kann auch der größte Baum nichts ändern.« Adrian lächelte ein wenig verlegen. »Zum Glück war Valerian mit seinen Schauergeschichten über die Omaheke beschäftigt. Er war nicht so streitsüchtig wie sonst.«
    »Tun Sie ihm da nicht ein klein wenig unrecht?«
    »Glauben Sie das wirklich? Ich dachte, Sie hätten ihn besser kennengelernt.«
    »Er ist voller Haß«, sagte Cendrine, »aber nicht auf Sie. Manchmal mag es so aussehen, aber ich glaube, im Grunde haßt er nur sich selbst.«
    Die Tanne war in den Flammen jetzt kaum noch zu erkennen. Dichter weißer Rauch stieg auf, als die letzten Nadeln verbrannten. Cendrine schickte die beiden Mädchen zurück ins Schulzimmer, um ihre Mathematikaufgaben zu erledigen. Sie selbst und Adrian blieben noch eine Weile länger an der Feuerstelle stehen. Der schwarze Fleck des verbrannten Termitenhügels war nun völlig von der Asche und Glut der Tanne bedeckt.
    »Ich wüßte gerne, warum die San den Bau damals angezündet haben«, sagte Cendrine nachdenklich.
    Adrian wandte sich ab und blickte dem Rauch nach, der von ihnen fort nach Osten trieb. »Wer weiß, welche Botschaften sie von ihm empfangen haben.«
    »Von dem Termitenhügel?«
    Er nickte. »Ein Talent der Schamanen. Sie können Gegenstände sprechen lassen.«
    »Sie sagen das so ernsthaft …«
    »Es ist eine ernste Angelegenheit.«
    »Gibt es denn Schamanen unter den Dienern des Hauses?«
    »Die San kennen keine Autorität – gerade deshalb ist es ja so erstaunlich, wie schnell sie sich an die Kolonialherrschaft gewöhnt haben. Ihre Clans haben keine Häuptlinge und auch keine Medizinmänner. Ihrem Glauben nach kann jeder Mensch ein Schamane sein, er muß nur bereit dazu sein.«
    Als sie ihn verständnislos ansah, fuhr er fort: »Ein Schamane ist jemand, der kraft seines Geistes in andere Welten vordringt. Das macht ihn nach Ansicht der San einem Sterbenden ähnlich – mit dem Unterschied, daß es für den Sterbenden kein Zurück gibt. Der Schamane aber kehrt heim und läßt andere an seinen Erfahrungen teilhaben.« Adrian bückte sich und hob einen brennenden Zweig aus der Glut. »Ein Schamane könnte vielleicht mit dieser Flamme sprechen, aber auch mit dem Gras, der Erde, den Bäumen und den Bergen. Mit allem, das uns umgibt. Ein San würde andere Worte dafür wählen, aber im Grunde läßt es sich einfach auf den Punkt bringen: Jedes Ding hat eine Art Seele, mit der der Schamane in Verbindung treten kann. Er versetzt sich in eine Welt, in der diese Seele zu ihm sprechen kann.«
    Cendrine schmunzelte. »Und ich dachte schon, wir Deutschen tragen die Schuld an der Gleichgültigkeit der San. Dabei schweben sie alle ständig in irgendwelchen anderen Welten.«
    Adrian schüttelte lächelnd den Kopf, aber es war ein Lächeln, wie man es einem Kind schenkt, das zu klein ist, um Gespräche von Erwachsenen zu begreifen. »Nur bei wenigen ist das Talent so stark ausgeprägt, daß sie es bewußt anwenden. Die meisten erleben ihre Geistreisen im Schlaf. Wir würden das wohl Träumen nennen.«
    »Ich störe Johannes also nicht im Zwiegespräch mit seinen Teetassen, wenn ich ihn anspreche? Das beruhigt mich.«
    »Sie sollten sich nicht darüber lustig machen.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.« Tatsächlich versuchte sie nur den jähen Schrecken zu überspielen, der sie bei Adrians Worten überkommen hatte. Geistreisen an andere Orte – möglicherweise auch in Termitenhügel?
    »Sagen Sie«, bat sie, »diese Reisen der Schamanen, können die einen auch in die Vergangenheit führen?«
    »Warum fragen Sie das?«
    Sie lächelte abwesend. »Nur eine fixe Idee.«
    Adrian musterte sie, bis ihr sein Blick beinahe unangenehm wurde. »Was haben Sie gesehen?« fragte er nach einer Weile.
    »Gesehen?« wiederholte sie nervös. »Wie meinen Sie

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