Göttin der Wüste
auf Stahl. Zwei Fleischermesser, die kreischend übereinandergezogen wurden.
Cendrine sah das reglose Mädchen im Bett an, blickte zum Fenster. Sah, daß dort draußen die Welt unterging. Eine wirbelnde Wand wuchs vor den Scheiben empor. Darin trieben entwurzelte Bäume, Büsche, Sandwolken.
Der Wirbelsturm.
Der Mann mit den Messern.
Das Mädchen im Bett.
»Kimberly«, sagte der Mann noch einmal, diesmal sanfter. Trotzdem ließ er die Messerklingen weiter übereinanderschleifen, wieder und wieder und wieder.
Cendrine kannte diesen Namen. Irgendwer hatte ihn erwähnt, Adrian vielleicht.
Kimberly Selkirk, Lord Selkirks jüngste Tochter. Sein Lieblingskind.
Der Mann kam auf Cendrine zu, aber er beachtete sie nicht. Wie betäubt wich sie zur Seite, fort von ihm, fort von dem Bett, in dem sie Jahrzehnte später einmal arglos liegen und schlafen sollte, ohne eine Ahnung von dem, was einmal darin geschehen war.
Jedes der Messer war so lang wie Cendrines Unterarme. Ihr Schimmern konnte nicht verbergen, daß etwas Rotes, Feuchtes daran klebte.
Der Mann erreichte das Bett und legte die Messer zu beiden Seiten des Mädchens auf die Decke. Er verwandte viel Mühe darauf, sie haargenau zum Kopfende hin auszurichten, als gäbe es dafür irgendeinen wichtigen Grund, als wäre hinter alldem ein versteckter Sinn, den nur er kannte.
Cendrine stolperte rückwärts in den Erker, hinter sich das infernalische Panorama des Wirbelsturms; er hielt das Haus in seinem Zentrum gefangen wie ein Kind einen Frosch im Einmachglas. Sie war stumm vor Angst, beinahe besinnungslos in ihrem Entsetzen. Sie wollte einschreiten, doch sie vermochte es nicht. Konnte nur zusehen. Wie betäubt und von Panik geschüttelt. Dastehen. Hilflos.
Der Mann streichelte das Haar des wehrlosen Mädchens, und zum erstenmal sah Cendrine sein Gesicht. Ein älterer Mann mit feisten Wangen. Sein graues Haar war zerzaust, Strähnen hingen ihm wirr in die Stirn. Eine dunkelrote Bahn aus Blutspritzern zog sich quer über sein Gesicht.
Cendrine erkannte ihn wieder, von einem der Gemälde in der Galerie. Lord Selkirk.
»Kimberly«, flüsterte er noch einmal, unendlich zärtlich. Nur diesen Namen. Immer wieder den Namen seiner Tochter.
»Kimberly. Kimberly. Kimberly.«
Die Kleine starrte ihn groß aus ihren dunklen Augen an, steif vor Angst, vielleicht aber auch vertrauensvoll.
Er hob sie hoch, drückte sie an sich, drehte sich dabei mit ihr um sich selbst. Cendrine sah das Gesicht des Mädchens über seiner Schulter, die Augen immer noch weit aufgerissen. Sie erkannte, daß die Kleine unter Schock stand. Kimberly mußte gesehen haben, was ihr Vater getan hatte. Sie wußte, von wem das Blut in seinem Gesicht stammte. Anschließend hatte sie sich in ihrem Zimmer verkrochen. Aus Panik war Gleichmut geworden. Ergebenheit. Der letzte Schritt, die letzte Konsequenz.
Lord Selkirk überhäufte das Gesicht des Mädchens mit Küssen, bis das Blut ihre Wangen verschmierte, ihre Lippen, ihre Augenlider.
Dann legte ihr Vater sie sanft zurück aufs Bett, griff nach den Messern und tranchierte das Mädchen bei lebendigem Leibe.
Als Cendrine erwachte, lag sie am Boden des Erkers, ganz allein im Zimmer. Kimberlys Blut war längst fortgewaschen, und mit ihr fast jede Erinnerung an Selkirks Verbrechen.
Benommen erhob sie sich. Dabei fiel ihr Blick auf das Fenster.
Eine schwarze Rauchfahne wuchs hoch in den Himmel. Dort draußen tobte ein Feuer. Funken stoben auf wie ein Insektenschwarm, wirbelten über die Wiese, ließen sich auf den Akazien nieder und verglühten.
Der Termitenbau brannte lichterloh.
***
Anderswo. Im Herzen der Wüste aller Wüsten.
Ein Mann schreitet durch lockeren Sand. Seine Schritte sind weit und kraftvoll. Er hat ein Ziel. Seine Füße verursachen Wellen in den Hängen der Dünen. Der Sand rutscht in weiten Ringen bergab, und doch ist der Mann nie in Gefahr, hinabgerissen zu werden. Er kennt die Wüste seit Jahrtausenden.
Der Mann trägt ein weißes Gewand. Es flattert im heißen Wind, der die Einöde aufpeitscht. Auch sein Kopf ist in weiße Stoffe gehüllt, nur die Augenpartie blickt zwischen den Tüchern hervor. Er schützt sich, weil er es irgendwann einmal gelernt hat. Dabei hat er Schutz längst nicht mehr nötig. Nicht er. Er kennt weder Schmerz noch Verletzung. Kennt keinen Sonnenbrand und keinen Durst. Kennt keinen Tod, nicht den eigenen.
Vor ihm, am Rand der Welt, ist der Himmel so hell, daß der Anblick in den Augen brennt. Doch
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