Göttin der Wüste
mit der Hand übers Gesicht und seufzte. »Verzeihen Sie, ich bin … vielleicht bin ich nur genauso verwirrt wie Sie.«
»Ja«, entgegnete sie kühl und klammerte sich an den Rest ihrer Selbstsicherheit, »ich denke auch, daß Sie verwirrt sind. Sehr verwirrt. Lassen Sie mich einfach in Frieden. Und jetzt entschuldigen Sie mich, Ihre Schwestern warten sicher schon.«
Damit drehte sie sich um und ging auf schnellstem Wege zurück zum Haus.
»Es hat keinen Zweck, es abzuleugnen, Cendrine«, rief er ihr hinterher. »Das habe ich auch versucht. Aber, hören Sie, es hat keinen Sinn.«
Der Wind drehte seine Richtung und trieb den Geruch des Feuers hinter ihr her.
***
Zwei Wochen später, am 13. Januar 1904, erreichte die Nachricht das Anwesen, daß in Okahandja der lange befürchtete Aufstand der Herero ausgebrochen sei.
Ein kleiner Trupp berittener Soldaten überbrachte die Botschaft, staubbedeckt und abgekämpft. Trotz ihrer Erschöpfung weigerten sich die Männer, eine Rast einzulegen. In diesem Teil der Auasberge gab es ein paar vereinzelte Farmen, abgelegene Gehöfte, deren Besitzer von der Viehzucht lebten, und sie alle mußten noch bis zum Abend über die neuen Entwicklungen unterrichtet werden. Der Hauptmann des Trupps bot Madeleine an, mit der ganzen Familie und allen weißen Bediensteten nach Windhuk zu kommen, wo ihnen das Fort Zuflucht gewähren würde, doch sie lehnte mit stoischer Ruhe ab. Titus war irgendwo im Süden des Landes unterwegs und würde in den nächsten Wochen nicht heimkehren; aber, so sagte sie, wenn ihr Mann hier wäre, würde er gewiß genauso entscheiden wie sie. Der Hauptmann warf einen sorgenvollen Blick auf die Kinder, dann tippte er zum Abschied die Hand an die Hutkrempe und gab seinen Leuten den Befehl zum Aufbruch.
Okahandja wurde von Herero belagert, die einen waffenstarrenden Ring um die Ansiedlung geschlossen hatten. Der zehnköpfige Schutztrupp war niedergemacht, mehrere Farmen im Umland verwüstet worden. Noch waren den Aufständischen keine Frauen und Kinder zum Opfer gefallen, doch niemand vermochte mit Sicherheit zu sagen, ob dies eine Folge von bewußter Rücksichtnahme oder pures Glück war.
Madeleine rief in der Eingangshalle alle San zusammen, die innerhalb des Hauses Dienst taten, und bat sie, auch ihre Verwandten in den Gärten und Weinbergen über die Geschehnisse in Kenntnis zu setzen. Herero wurden ab sofort nicht mehr im Tal geduldet, eine Regelung, die auch den Kutscher Ferdinand betraf. Bis heute war er einer der engsten Vertrauten der Familie gewesen, hatte sogar Waffen tragen dürfen, doch damit war es jetzt von einem auf den anderen Tag vorbei. Falls der Aufstand niedergeschlagen werde, erklärte ihm Madeleine, dürfe er zurückkehren; bis dahin aber müsse er mit allen anderen Angehörigen seines Volkes im Dorf außerhalb des Tales bleiben. Ferdinand quittierte ihre Worte mit einem stummen Nicken und ging.
Als einzige Weiße unter den Bediensteten wurde Cendrine fortan noch enger in die Familie einbezogen. Madeleine bot ihr an, in ein Zimmer im Nordflügel zu ziehen, um näher bei ihnen zu sein, doch Cendrine lehnte ab. Daraufhin bestand Madeleine darauf, künftig bei Nacht zwei bewaffnete San als Wächter vor Cendrines Zimmer zu postieren. »Keine Widerrede«, setzte sie entschieden hinzu.
Cendrine fügte sich mit einem Seufzen, stellte sich insgeheim aber die Frage, ob sie die Gefahr vielleicht unterschätzte. Die Vorstellung, die idyllischen Weinberge rund um das Anwesen könnten von blutrünstigen Herero-Horden überfallen werden, schien ihr absurd. Natürlich, wenn sie darüber nachdachte, machte die Sorge der Soldaten durchaus Sinn: Die Kaskadens waren eine der vermögendsten Familien in Südwest, und eine Plünderung ihrer Besitztümer versprach reiche Beute.
Aber etwas in Cendrine weigerte sich, diese Angelegenheit mit den Maßstäben der Vernunft zu betrachten. Sie erinnerte sich an das, was Adrian ihr über den Wirbelsturm erzählt hatte, der das Anwesen einst vor einer Rebellenattacke bewahrt hatte; wenn ihr in den vergangenen sieben Monaten eines klargeworden war – auch nach diesem letzten Gespräch mit Adrian –, dann war es die Tatsache, daß in Afrika die Gesetze der Vernunft keine Rolle spielten.
Dieses Land zwingt uns zur Unvernunft, dachte sie, nur um sich gleich darauf in Gedanken zu verbessern: Afrika schenkt uns die Unvernunft. Aber was geben wir ihm im Austausch dafür?
***
»Adrian sagt, die Herero haben schon über
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