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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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umarmte sie. »Schaut nicht hin.«
    »Aber Sie sehen doch auch zu«, sagte Salome.
    Lucrecia klang immer noch trotzig. »Wir haben es schon oft gesehen. Schon ganz oft.«
    Cendrine versuchte gleichzeitig die Hütte und die Gesichter der Zwillinge im Blick zu behalten. »Was genau sind Hyänenmenschen?« fragte sie.
    »Böse Geister in Menschengestalt«, sagte Lucrecia. »Sie haben zwei Münder, einen, mit dem sie sprechen und der aussieht wie der von jedem anderen, und einen zweiten, der so stark ist, daß sie mit den Zähnen Menschenknochen zerkauen können. Der zweite Mund ist unsichtbar und zeigt sich nur, wenn sie Hunger haben.«
    Die acht Wächter traten jetzt von der Hütte zurück. Statt ihrer näherten sich zwei Frauen aus entgegengesetzten Richtungen der Unterkunft. Sie trugen in jeder Hand eine lodernde Fackel.
    »Sie verbrennen sie!« entfuhr es Cendrine.
    Die Zwillinge nickten. »Nur Feuer kann böse Geister vernichten«, sagte Lucrecia.
    »Hat dir das auch Sofia erzählt?«
    »Kann sein.«
    Cendrine war viel zu gebannt von dem, was sich im Dorf abspielte, um heftiger nachzuhaken. Sie würde Madeleine über diese Sofia in Kenntnis setzen. Sollte die Hausherrin entscheiden, wie man die Kinder von ihr fernhalten konnte.
    Hilflos wie in einem ihrer Träume sah sie mit an, wie die Frauen Feuer an die Hütte legten. Noch immer war nicht klar, wie viele Menschen im Inneren eingesperrt waren. Den Schreien nach zu urteilen, waren es mindestens ein halbes Dutzend. Eine ganze Familie, schoß es Cendrine durch den Kopf. Dort unten wurde eine ganze Familie ermordet!
    Die Wände der Hütte bestanden aus einem Geflecht aus Zweigen und Stroh, verputzt mit Lehm und Rinderdung. Die Flammen leckten begierig daran empor, aber noch griffen sie nicht auf die ganze Hütte über. Die Zuschauer, deren Gesang das Knistern des Feuers wie Hohngelächter übertönte, wichen weiter zurück. An einigen Stellen entstanden Lücken im Ring, als Kinder ihre Plätze verließen und sich an ihre Mütter klammerten. Auch die acht Herero hatten sich entfernt, behielten den Eingang aber weiterhin wachsam im Auge.
    Dichter Rauch stieg auf, und jetzt erfaßten erste Flammen wie glühende Insektenschwärme die Wände, fraßen sich hinauf zum Dach aus Stroh und Zweigen. Auch die Tür hatte Feuer gefangen und begann lichterloh zu brennen. Plötzlich barst sie auseinander, ein Feuerwerk aus brennenden Zweigen. Eine Gestalt taumelte aus der Glut ins Freie. Es war ein Mann, bald darauf gefolgt von einer Frau.
    Beide sanken auf alle viere und gaben keuchende Laute von sich. Cendrine glaubte, es läge am Rauch, doch im nächsten Moment stürzten sich die beiden wie Raubtiere auf die Herero-Wachen. Die Menschenmenge kreischte auf, stob auseinander. Viele ergriffen die Flucht, andere zogen sich in den Schutz der nächststehenden Hütten zurück und beobachteten das Geschehen aus sicherer Entfernung.
    Der Mann und die Frau, vom Ruß so schwarz wie ihre eigenen Schatten, packten je einen Herero und rissen ihn zu Boden. Während Cendrine fassungslos zusah, schnappten die beiden zähnefletschend nach den Kehlen ihrer Opfer. Noch bevor einer der anderen Wächter einen Speer heben konnte, waren die Männer am Boden tot. Blut spritzte aus ihren zerfetzten Arterien in den Staub. Die Leichen zuckten noch, als der Mann und die Frau sich auf die nächsten Bewaffneten warfen.
    Hyänenmenschen , dachte Cendrine ungläubig. Aber das war doch unmöglich!
    Ein Speer wurde der Frau in die Seite gerammt, ein zweiter fuhr dem Mann in die Schulter. Dennoch klammerten sich beide weiter an ihre Opfer, schlugen und bissen nach ihnen, und bald lag ein dritter Herero verblutend im Sand. Doch auch die beiden Angreifer waren besiegt. Die Frau rollte sich wimmernd auf die Seite und versuchte offenbar, einen Blick auf die brennende Hütte zu erhaschen, während der Mann von zwei Speeren gleichzeitig durchbohrt wurde. Augenblicke später waren beide tot.
    Cendrines Herz schlug so hart, daß sogar die Zwillinge das laute Hämmern hören mußten. Aber sie waren selbst viel zu beschäftigt, sich aus Cendrines Armen zu befreien und Blicke auf das Massaker im Dorf zu erhaschen.
    Das Dach der Hütte stürzte in einem Fanal aus sprühenden Funken und flirrender Hitze in sich zusammen. Aus dem Inneren ertönten längst keine Schreie mehr.
    Einen Augenblick später erkannte Cendrine den wahren Grund für das Schweigen.
    Eine Gruppe von drei Kindern, zwei Mädchen und ein kleiner Junge, hatte

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