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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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das Verrückteste, was ich bisher in diesem Land zu hören bekommen habe.«
    »So?« Er zuckte die Achseln. »Du wirst dich daran gewöhnen.«
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte sie und erhob sich. »Darf ich jetzt gehen?«
    »Natürlich.« Er blieb sitzen und wirkte sehr gelassen. »Ich dachte, du hättest noch mehr Fragen. Wichtige Fragen. Zum Beispiel, was es mit den Hyänenmenschen auf sich hat.«
    Sie blieb abrupt am Eingang stehen und fuhr herum. »Du weißt davon?«
    Abermals nickte er. »Du hast den Jungen davor bewahrt, verbrannt zu werden.«
    Eine Weile lang starrte sie ihn ausdruckslos an. Dann gab sie sich einen Ruck und setzte sich zurück auf ihren Hocker. »Warum hast du den Frauen nichts davon gesagt?«
    »Kannst du dessen denn sicher sein?« fragte er listig. »Ich wußte gar nicht, daß du unsere Sprache verstehst.«
    »Das tue ich nicht. Ich –« Sie brach ab, als ihr bewußt wurde, daß er ihre Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung lenkte. »Es war nur ein Eindruck, den ich hatte. Die Frau war gut zu dem Kleinen. Das wäre sie nicht gewesen, hätte sie gewußt, was es mit ihm auf sich hat.«
    »Vielleicht war es so«, sagte Qabbo geheimnisvoll. »Aber du hast es gewußt, nicht wahr? Und warum? Weil du dir unbewußt Mühe gegeben hast, mich zu verstehen. Du warst so sehr auf das Schicksal des Kleinen bedacht, daß du spüren konntest, was ich zu den Frauen sagte. Große Schamanen besitzen diese Fähigkeit.«
    »Das ist doch lächerlich. Ich bin aus Europa. Dort gibt es keine Schamanen.«
    »Was macht dich da so sicher?«
    »Ich bin fremd in diesem Land. Ich kenne eure Kultur nicht, ich glaube nicht an die gleichen Götter. Ich denke nicht einmal wie ihr.«
    »Das alles hat nichts mit deiner Begabung zu tun.«
    Sie kam mehr und mehr in Erklärungsnot. Ebensowenig wie es vernünftige Argumente für Qabbos Behauptung geben konnte, gab es welche dagegen. Es war, als wollte man einen überzeugten Atheisten zum Christentum bekehren.
    »Warum bist du mir von der Mine aus nach Windhuk gefolgt?« fragte sie schließlich. »Du warst doch bei dem Wachtrupp, oder?«
    Zu ihrem Erstaunen schlug er einen Moment lang die Augen nieder. War es ihr tatsächlich gelungen, ihn in Verlegenheit zu bringen? Dann aber schaute er ruckartig auf, in seinem Blick lag ein Glitzern.
    »Du kannst es herausfinden«, sagte er, »wenn du es wirklich willst. Die Antwort findest du in dir selbst.«
    Fast die gleichen Worte hatte Adrian benutzt. Horchen Sie auf die Stimme in Ihrem Inneren. Allmählich begann sie sich als Opfer einer Verschwörung zu fühlen. Jeder hier schien zu glauben, daß er sie besser kannte als sie sich selbst.
    Trotzdem war da plötzlich etwas in ihr, ein Wissen, das vor Sekunden noch nicht dagewesen war. Ein Wissen – und eine Gewißheit.
    »Du hast mich beobachtet«, sagte sie leise, »als Titus mich und die Kinder herumgeführt hat. Du hast etwas gespürt, etwas von dieser … dieser Begabung. Du wolltest mit mir reden, deshalb bist du in mein Zimmer gekommen und später mit nach Windhuk geritten.«
    »Ja und nein«, gab Qabbo zurück. »Aber du machst Fortschritte. Du sperrst dich nicht mehr gegen das, was in dir ist. Das ist gut.« Er nickte ihr aufmunternd zu, als fordere er sie auf, noch weiter zu forschen. »Alles, was du gesagt hast, ist wahr. Mit einer Ausnahme: Ich war nie in deinem Zimmer, und das ist die Wahrheit. Aber auch du bist mir in dieser Nacht erschienen. Möglicherweise war es dir gar nicht bewußt, aber ich muß dir an jenem Tag in der Mine aufgefallen sein. So wie ich deine Begabung gespürt habe, hast du meine gespürt. Deshalb trafen wir uns im Schlaf.«
    Erinnerungen stiegen in ihr auf, an das Fenster, durch das niemand hätte hereinklettern können, und an die zweifach verschlossene Tür. Sie hatte den nächtlichen Besucher schon damals als Traum abgetan.
    Qabbo, hatte er gesagt, in deiner Sprache bedeutet das › Traum ‹ . Je länger sie darüber nachdachte, desto verwirrter war sie.
    »Ich verstehe das alles nicht.«
    »Natürlich verstehst du. Nur wehrst du dich noch dagegen. Aber das wird sich ändern. Vielleicht schon bald. Dann wirst du bereit sein für das, was kommen wird.«
    »Was meinst du damit?«
    »Hab Geduld. Lerne erst, den Weg zu gehen, bevor du an das Ziel denkst.«
    Was redete er da? Weg, Ziel – das, was da kommen wird. Es war genug. Endgültig.
    Abrupt wollte sie aufstehen und die Hütte verlassen, als ihr plötzlich wieder der kleine Junge

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