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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie gespannt.
    »Du wirst mich in Frieden lassen?«
    Er stieß ein gackerndes Gelächter aus. »Warum sollte ich dir etwas antun? Außerdem, schau dich an. Du bist viel größer als ich.«
    »Größe scheint in diesem Land keine Bedeutung zu haben.«
    »Das immerhin hast du verstanden.«
    Das klang, als wüßte er viel mehr über sie, als ihr lieb war. Aber hatte sie eine andere Wahl, als mit ihm zu gehen? Die feindseligen Blicke der Frauen ließen keinen Zweifel daran, daß es besser für sie war, dem San zu gehorchen.
    »Ich komme mit«, sagte sie. »Vorausgesetzt, du sagst mir, was du in jener Nacht in meinem Zimmer zu suchen hattest.« Sie fand, daß die Vertrautheit zwischen ihnen falsch und aufgesetzt klang, aber es wäre albern gewesen, weiterhin auf Form zu beharren, wenn er doch so offensichtlich keinen Wert darauf legte.
    »Wie ich schon sagte – wir werden reden.« Er nickte ihr zu.
    »Drinnen.«
    »Sag mir, wie du heißt.«
    »Qabbo«, sagte er. »In deiner Sprache bedeutet das ›Traum‹.«
    Benommen folgte sie ihm zur Hütte. Am Türpfosten hing der halbverweste Kadaver eines Hundewelpen. Fliegen umschwirrten das tote Tier. Qabbo bemerkte Cendrines Abscheu und erklärte, daß dies ein zuverlässiges Mittel gegen böse Geister sei. Er bot ihr an, ihr gleichfalls einen zu besorgen, möglicherweise werde sie ihn noch brauchen können. Mit einem abfälligen Schnauben lehnte sie ab, ohne zu verstehen, wie ernst es ihm mit dieser Äußerung war.
    Die Wände der engen Hütte waren von außen und innen mit Kuhmist verputzt, der einen durchdringenden Geruch verströmte. Nicht wirklich ekelerregend, sondern vielmehr, als sei er mit etwas versetzt worden, das die unangenehmen Duftstoffe überlagerte, Kräuter oder geriebene Blüten. In einer Ecke erhob sich ein rechteckiger Lehmblock, auf dem eine geflochtene Strohmatte lag. Zwei Hocker, gleichfalls aus Lehm, waren in gegenüberliegende Wände eingelassen. Gleich neben dem einen befand sich ein hölzerner Waschkübel, auf dessen Rand ein Stück selbstgemachte Seife lag, die intensiv nach Ammoniak roch.
    »Möchtest du etwas essen?« fragte Qabbo.
    »Es gibt keinen Anlaß, höflich zu sein«, entgegnete Cendrine kühl. »Ich bin nicht freiwillig hier.«
    »Aber du hast Fragen, die du mir stellen willst.«
    »Wirst du denn darauf antworten?«
    »Wir werden sehen.«
    Er deutete auf die beiden Hocker, und sie nahmen Platz, drei Schritte voneinander entfernt. Die Distanz beruhigte Cendrine ein wenig.
    »Was hattest du in meinem Zimmer zu suchen?« fragte sie.
    »Ich war nie in deinem Zimmer.«
    »Das ist eine Lüge. Ich habe dich erkannt.«
    »Und doch habe ich dein Zimmer niemals betreten.«
    »Willst du abstreiten, daß du in der Mine warst, als ich mit den Mädchen zu Besuch kam?«
    »Oh«, gab er hastig zurück, »natürlich war ich da. Ich habe dich gesehen.«
    »Du hast neben meinem Bett gestanden.«
    Der kleine Eingeborene grinste verschmitzt. »Du hast mich in deinem Zimmer gesehen, aber ich war nicht da.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Das war nur Qabbo. Nur ein Traum.«
    »Wortklaubereien«, sagte sie, »nichts sonst.«
    »Was bedeutet das – Wortkauba …«
    Sie unterbrach ihn. »Es bedeutet, daß du redest, ohne etwas zu sagen.«
    Qabbo hob eine Augenbraue. »So? Dafür gibt es tatsächlich ein Wort in eurer Sprache? Das ist seltsam.«
    Sie verstand immer weniger von dem, was er da redete, kam aber allmählich zu der Überzeugung, daß er ungefährlich war. »Du hast mir in dieser Nacht den Mund zugehalten. Ich konnte nicht schreien. Träume haben keine Hände.«
    »Oh, das haben sie!« sagte er schnell. »Manche haben sogar Zähne. Vor denen solltest du dich besonders in acht nehmen.«
    »Wenn du mich verspotten willst, dann –«
    »Nein«, fiel er ihr ins Wort. »Das will ich nicht. Aber vielleicht kannst du das nicht verstehen. Noch nicht.« Er schien nachzudenken, denn er zögerte, bevor er fortfuhr. »Du besitzt eine Gabe, ein Talent, aber du weißt es nicht zu würdigen. Du schaust Dinge an und erfährst plötzlich etwas über sie, das du vom einfachen Ansehen nicht wissen kannst. So ist es doch, oder?«
    Sie dachte an den Termitenbau, sträubte sich aber, zuzugeben, daß Qabbo recht hatte. Es war, als verlangte er, daß sie ihre geheimsten Wünsche offenbarte.
    »Du schämst dich«, sagte er. »Jeder von uns tut das am Anfang.«
    »Von uns ?«
    »Wir sind Schamanen. Du bist eine von uns.«
    Sie lachte auf, viel zu hoch und schrill. »Das ist

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