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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schnell sie konnte zum Pferdegespann, das unter dem Vordach des Bahnhofs auf sie wartete.
    Ein paar Eingeborene schauten ihr schweigend hinterher, als der Wagen sie schaukelnd davontrug.

KAPITEL 2
    Kies knirschte unter den eisenbeschlagenen Rädern des Pferdewagens, als das Gefährt unter dem Torhaus hindurchfuhr. Längst hatte sich Dunkelheit über die Auasberge gelegt. Cendrine besaß keine Uhr, aber sie nahm an, daß es bereits nach neun war, als der Wagen endlich von der Auffahrt auf den Kieshof rollte. Aus vereinzelten Fenstern im Erdgeschoß fiel blasses Licht ins Freie und beschien prasselnde Regenvorhänge.
    Die Rückfahrt hatte sich endlos in die Länge gezogen. Mit jeder Stunde hatten die Niederschläge zugenommen und Teile des Weges in tückische Schlammlöcher verwandelt. Der San auf dem Kutschbock hatte die Nässe duldsam über sich ergehen lassen, doch als er die gefährlichen Wegstücke in immer weiteren Bögen umfahren mußte, hatte selbst er die Geduld verloren. Fluchend hatte er die beiden Pferde angeschrien, bis Cendrine ihm gereizt klargemacht hatte, daß die Tiere gewiß keine Schuld an dem furchtbaren Wetter trugen. Wohlweislich verschwieg sie, was ihr noch auf der Zunge lag: daß nämlich die San selbst die Götter um Regen angefleht hatten.
    Der Wagen hatte noch nicht angehalten, als schon die Eingangstür des Haupthauses aufgerissen wurde. Ein Lichtfächer schoß über den glitzernden Kies und hüllte die Pferde ein. Eine Gestalt löste sich aus dem hellen Rechteck der Tür, nur in Hose und Hemd gekleidet, und kam auf Cendrine zugerannt.
    »Liebe Güte, Fräulein Muck!« Es war Adrian, und er hatte Mühe, angesichts des strömenden Regens die Augen offenzuhalten. »Da sind Sie ja endlich! Ich war gerade dabei, Mutter davon zu überzeugen, einen Suchtrupp Richtung Windhuk zu schicken.«
    »Tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe«, gab sie zurück und stieg mit flatterndem Cape vom Wagen. Sofort trieb der San die Pferde an und lenkte den Wagen ums Haus herum zu den Ställen.
    »Unannehmlichkeiten?« wiederholte Adrian ungläubig. »Haben Sie wirklich Unannehmlichkeiten gesagt? Bei dem Wetter kann ich kaum Ihre Lippen sehen …«
    Die Ereignisse des Tages und das katastrophale Wetter hatten sie viel zu wütend gemacht, als daß eine Konfrontation mit der Hausherrin sie jetzt noch hätte einschüchtern können. Sie hatte dem kleinen Jungen das Leben gerettet, das war alles, worauf es ankam. Sie würde sich nicht dafür entschuldigen.
    Gemeinsam mit Adrian hastete sie ins Haus und schob sich die tropfende Kapuze aus dem Gesicht. Johannes, der Butler, warf die Tür hinter ihnen ins Schloß. Das Prasseln des Regens wurde abrupt abgeschnitten. Statt dessen schlug ihr nun die behagliche Wärme eines Kaminfeuers entgegen, der wohnliche Geruch von Holz und alten Stoffen und die angenehme Gewißheit, daß sie endlich daheim war. In Sicherheit.
    »Fräulein Muck!« Madeleines Stimme zerstörte den Frieden. »Was denken Sie sich nur dabei, uns alle derart in Aufruhr zu versetzen?«
    Die Hausherrin klang mehr als nur gereizt, geradezu zänkisch, und Cendrine wurde sofort bewußt, daß es das beste wäre, sich kleinlaut zurückzuziehen und jegliche Erörterung auf den nächsten Tag zu verschieben. Aber noch brannte der Zorn heiß in ihr, und noch war sie bereit, sich auf eine Weise zu verteidigen, die am nächsten Morgen wahrscheinlich schon undenkbar war.
    »Wissen Sie denn, was geschehen ist?« entgegnete sie und ließ sich von Johannes den Kapuzenmantel abnehmen. Der kleine Butler rümpfte unwillig die Nase, als seine Livree dabei durchnäßt wurde.
    »Was geschehen ist?« entfuhr es Madeleine schrill. »Sie sind verschwunden, ohne sich abzumelden – das ist geschehen! Stundenlang wußte niemand, ob Ihnen etwas zugestoßen ist, bis Adrian schließlich einen Stallknecht ausfindig machte, der ein paar Antworten auf unsere Fragen hatte. Sie haben das Anwesen unerlaubterweise verlassen, noch dazu während Ihrer Arbeitszeit.« Die Hausherrin holte tief Luft, ließ Cendrine aber keine Zeit zu einer Erklärung. Aufgebracht fuhr sie fort: »Aber das Schlimmste von allem ist das, was Sie den Mädchen angetan haben. Wie konnten Sie nur?«
    »Ich –« Weiter kam sie nicht, denn Madeleine fiel ihr barsch ins Wort.
    »Ich sollte Sie auf der Stelle hinauswerfen! Ja, das sollte ich wirklich! Menschen, die bei lebendigem Leibe verbrannt werden – ist es das, was Sie unter Unterricht

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