Göttin der Wüste
friedliche Menschen, und sie haben die wenigen Herero und Damara, die im Dorf leben, recht gut unter Kontrolle.«
»Sie verbrennen Menschen«, gab Madeleine empört zurück. »Das nennst du friedlich?«
»Ihr Glaube hat nichts mit Rebellion zu tun. Sie haben diese Familie getötet, weil sie sich von ihr bedroht fühlten – und du weißt genausogut wie ich, daß es nicht das erste Mal war –, aber wir hier im Haus bedrohen sie nicht. Im Gegenteil: Wir helfen ihnen, indem wir sie für ihre Arbeit bezahlen.«
Cendrine hielt Adrians Worte für naiv. Doch als sich ihre Blicke kreuzten, begriff sie, daß er nur versuchte, sie in Schutz zu nehmen. Er redete gegen seine Überzeugung an, verstieß gegen seine Prinzipien, nur um ihr zu helfen. Von nun an stand Cendrine in seiner Schuld, ob es ihr recht war oder nicht.
»Ich werde die Wachen verstärken lassen, noch heute nacht«, entschied Madeleine. »Hoffen wir, daß wir den richtigen Männern vertrauen.«
Cendrine teilte ihre Bedenken. Sollte es wirklich zu einem Angriff auf das Anwesen kommen, schien es ihr höchst zweifelhaft, daß die San-Wachtposten ihre Waffen gegen Männer und Frauen ihres eigenen Volkes erheben würden.
»Die San werden nichts unternehmen«, sagte Adrian beharrlich. »Ich kenne sie gut genug. Sie würden niemals gegen uns kämpfen.«
»Kämpfen nennst du das?« Madeleine klang plötzlich eine Spur hysterisch. »Wenn sie wirklich angreifen, wird es keinen Kampf geben. Willst du die Mädchen bewaffnen? Oder sollen wir drei es mit einer ganzen Heerschar Eingeborener aufnehmen?« Sie lehnte sich im Sessel zurück und schloß einige Sekunden lang die Augen. »Diese Leute werden einfach hereinmarschieren, uns alle niedermachen und das Anwesen plündern.«
»Seit wann bist du eine solche Schwarzseherin?« Adrian klang beinahe amüsiert. Er schien tatsächlich überzeugt zu sein, daß es nicht zu einer Attacke kommen würde.
Seine Mutter seufzte. »Vielleicht hätten wir wirklich ins Fort gehen sollen. Dort wären wir zumindest sicher.«
»Und das Haus?« warf Adrian ein. »Hättest du es den Herero überlassen wollen?«
»Deshalb wünschte ich, dein Vater wäre hier. Er würde die richtige Entscheidung treffen.«
»Mach es dir nicht zu einfach.«
Aufgebracht ruckte Madeleines Oberkörper vor, und ihre Augen fixierten Adrian mit kalter Wut. »Ich habe es mir in all den Jahren weiß Gott nicht einfach gemacht, und das weißt du genau! Dein Vater ist nie hiergewesen, wenn es darauf ankam. Er hat nie –« Sie verstummte, als ihr bewußt wurde, daß Cendrine noch immer dasaß und sie ansah. Als wäre mit einemmal alle Kraft aus ihr gewichen, sackte sie zurück in den Sessel. »Es hat keinen Sinn. Streiten wir uns nicht auch noch untereinander.« Zu Cendrine gewandt sagte sie: »Sie dürfen sich zurückziehen. Sie hatten einen anstrengenden Tag.«
Cendrine empfand plötzlich Mitgefühl für sie. Tatsächlich war Madeleine diejenige, die in diesem Haushalt die Fäden zog und sich dabei alle Mühe gab, ihr Familienleben mit ihrer Aufsicht über Dutzende von Bediensteten in Einklang zu bringen. Ihre Strenge war nichts als ein Schild, der sie davor bewahren sollte, die Probleme zu nah an sich herankommen zu lassen.
Cendrine erhob sich und ging zur Tür. Ehe sie auf den Korridor treten konnte, sprang auch Adrian auf. »Wir können morgen weiterreden, Mutter.« Er beugte sich vor und gab Madeleine einen Kuß auf die Wange. Leiser fügte er hinzu: »Du brauchst Vater und Valerian nicht. Du tust auch ohne sie das Richtige. Das hast du immer getan.«
Madeleine schaute zu ihm auf, erst verunsichert, dann dankbar. Ihre Hand berührte flüchtig die seine. »Gute Nacht, Adrian. Und auch Ihnen eine gute Nacht, Fräulein Muck.«
Adrian und Cendrine verließen das Zimmer und gingen wortlos den Flur hinab.
Plötzlich blieb Cendrine stehen. Sie wartete, bis er sich zu ihr umgedreht hatte und ihre Lippen beobachten konnte. »Ich sollte mich wohl bei Ihnen bedanken. Sie haben gerade meine Stellung gerettet.«
»Ach was«, gab er leichthin zurück. »Hätte Mutter Sie wirklich rausgeworfen, hätte ihr das spätestens morgen früh leid getan.«
»Ich glaube, Sie schätzen sie falsch ein. Ihre Mutter ist eine ungemein starke Frau.«
»Stark, aber auch wankelmütig.«
»Auf mich macht sie nicht diesen Eindruck.«
Er lächelte. »Ich kenne sie ein paar Jahre länger.«
Das Licht der Öllampen flackerte über sein Gesicht, und zum erstenmal fiel ihr auf, daß er
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