Göttin der Wüste
verstehen?«
Adrian schob sich zwischen Cendrine und seine Mutter. »Du solltest Fräulein Muck Gelegenheit geben, einen Augenblick auszuruhen, Mutter. Ich bin sicher, Sie wird alles erklären können.«
Madeleine beachtete ihn gar nicht. »Lieber Gott, wäre doch Valerian hier! Oder Titus!« Es war sonst nicht ihre Art, die Verantwortung auf andere abzuschieben. Was immer Lucrecia ihr erzählt hatte, mußte Madeleine zutiefst verstört haben.
Cendrine trat gefaßt an Adrian vorbei, bis sie und die Hausherrin einander wieder in die Augen sehen konnten. »Ich weiß nicht, was Sie gehört haben, aber Sie sollten sich erst meine Sicht der Dinge schildern lassen, bevor Sie ein Urteil fällen.«
Madeleine öffnete den Mund, um zu widersprechen, besann sich dann aber eines Besseren. Stumm nickte sie Cendrine zu und gab Johannes die Order, in ihrem Boudoir das Kaminfeuer zu schüren.
Bald darauf betraten sie beim Licht der Feuerstelle und zweier mannshoher Kerzenleuchter den persönlichen Ruheraum der Hausherrin. Das Boudoir war kein großes Zimmer, ungefähr sechs mal sechs Meter im Quadrat, und grenzte unmittelbar an Madeleines Schlafgemach. Über dem Kamin hing ein Aquarell weißer Gebirgsgipfel. Vielleicht die Alpen, gewiß kein afrikanisches Massiv. Im Halbkreis um das Feuer waren mehrere Sessel mit gehäkelten Überzügen aufgestellt. Außerdem gab es einen runden Tisch zum Kartenspielen, einen größeren zum Einnehmen von Kaffee und Kuchen, weiterhin einige Bücherregale. An der Decke prangte ein Gemälde, eine Waldlandschaft voller Faune und Elfen; an manchen Stellen war die Farbe abgeblättert.
Madeleine setzte sich in einen der Sessel unmittelbar beim Feuer und deutete vage auf die übrigen Sitzgelegenheiten. »Nehmen Sie Platz.«
Cendrine wußte, daß es möglicherweise unklug war, dennoch sagte sie: »Ich würde lieber stehenbleiben und meinen Bericht so kurz wie möglich machen.«
Adrian, der dritte Anwesende im Zimmer, kam ihr beschwichtigend zu Hilfe. »Nach solch einer Fahrt und bei diesem Wetter ist das kein Wunder. Ich bin sicher, meine Mutter hat dafür Verständnis.«
Madeleine warf ihm einen scharfen Seitenblick zu und sah dann Cendrine an. »Erzählen Sie.«
Und so berichtete Cendrine ihr, wie die Zwillinge sie aufgefordert hatten, mit ihnen zum Dorf zu laufen. Sie unterließ es vorerst, den Namen Sofia zu erwähnen; sie würde sich später überlegen, ob sie irgendwelche Schritte gegen die San-Frau veranlassen wollte, die Lucrecia zu dem Ausflug angestiftet hatte. Es kam ihr falsch vor, ihre Stellung auf Kosten einer anderen Bediensteten zu verteidigen, auch wenn sie wußte, daß diese Sofia wahrscheinlich die Schuld an dem ganzen Dilemma trug. Statt dessen erzählte sie von dem Massaker an der San-Familie im Dorf und von ihrem Einsatz für den entkommenen Jungen. Sie gab zu, daß es vielleicht ein Fehler gewesen sei, nicht unverzüglich Madeleine über die Vorgänge in Kenntnis zu setzen, verteidigte sich aber mit ihrer Furcht um das Leben des Kleinen, wäre er nicht schnell genug vom Anwesen fortgebracht worden. Schließlich legte sie dar, wie sie den Jungen im San-Viertel von Windhuk abgeliefert hatte, unterließ jedoch jegliche Erwähnung Qabbos. Allerdings berichtete sie von Pfarrer Haupt, und daß er ihr den Mantel geliehen hatte.
Als der Name des ehemaligen Priesters fiel, wechselten Madeleine und Adrian einen langen Blick. Cendrine bereute sogleich, den Pfarrer erwähnt zu haben, doch es war bereits zu spät, um ihn jetzt noch aus der Sache herauszuhalten.
Fast eine halbe Stunde lang hatte Cendrine gesprochen, ehe sie zum Ende kam. Wohl wissend, daß es mit einem kurzen Bericht nicht getan war, hatte sie nach einer Weile doch noch Platz genommen, beinahe gegen ihren Willen, und nun war sie froh darüber. Der lange Bericht hatte sie müde gemacht.
Madeleine hatte aufmerksam zugehört, während Adrian Cendrine jedes Wort von den Lippen abgelesen hatte. Beide schwiegen eine Weile, nachdem Cendrine geendet hatte. Dann erst sagte Madeleine: »Würden nicht überall im Land die Kämpfe mit den Herero toben, wäre Ihr Handeln, Fräulein Muck, wohl zu verzeihen. So aber kann ich nicht fassen, daß Sie unser aller Wohl für das Leben eines Eingeborenen aufs Spiel gesetzt haben. Wissen wir denn, ob die Leute im Dorf nicht gerade jetzt, in genau diesem Augenblick, beieinander sitzen und einen Angriff auf das Anwesen beschließen?«
»Das glaube ich nicht«, warf Adrian ein. »Die San sind
Weitere Kostenlose Bücher