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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vieren vorwärts. Packte den Rand des Teppichs, der nicht mehr derselbe war wie damals, und schlug ihn zurück.
    Die Steinplatte lag vor ihr, ein vager Fleck inmitten der Dunkelheit des Zimmers. Cendrines Finger tasteten zitternd nach den Einkerbungen, fanden sie, zogen und zerrten daran. Sie brauchte länger als Selkirk, um die Platte ein Stück zur Seite zu schieben, aber schließlich war der Spalt breit genug, um hineinzugreifen. Sie fand das Buch auf Anhieb.
    Sie nahm sich nicht die Zeit, die Platte zurückzuschieben, ließ auch den Teppich so liegen, wie er war.
    Ungeduldig, mit fahrigen Bewegungen, warf sie sich aufs Bett. Entzündete die Kerze auf der Nachtkommode. Schlug den ledernen Band irgendwo in der Mitte auf.
    Es war eine Art Tagebuch, keine hundert Seiten dick, das Protokoll eines Lebensabschnitts von wenigen Jahren. Es war in englischer Sprache verfaßt. Die Worte bereiteten Cendrine keine Schwierigkeiten, eher schon die schmale, hektisch wirkende Handschrift. Manches mußte sie zweimal lesen, vor allem das, was auf den hinteren Seiten stand.
    Der Morgen graute, als sie den Band schließlich zuschlug, erschöpft, den Kopf bis zum Bersten mit Bildern gefüllt.
    Sie schlief ein und träumte von der Wüste.
    ***
    Als Selkirk mit seiner Familie nach Südwest kam, war das Land jenseits der Namib noch keine deutsche Kolonie. Es gab vereinzelte Siedler, meist Engländer und Holländer, die sich inmitten der Herero- und Nama-Ländereien niedergelassen hatten, mit den Eingeborenen Tauschhandel trieben und versuchten, in den kargen Savannen eigene Farmen aufzubauen. Weder wachte ein Gouverneur über die Gesetze – es gab keine Gesetze –, noch waren hier Soldaten stationiert, die den Siedlern im Ernstfall hätten beistehen können.
    Immer wieder kam es auf beiden Seiten zu Übergriffen. Manche Farmer behandelten ihre Bediensteten wie Sklaven, trieben sie mit Peitschen zur Arbeit und ließen jene, die ihren Befehlen widersprachen, am nächsten Baum aufknüpfen. Im Gegenzug wurden zahlreiche Höfe und Missionsstationen geplündert und niedergebrannt, ihre Bewohner ermordet. Manchmal vergingen nur Wochen zwischen den einzelnen Massakern, manchmal kam es auch jahrelang zu keinem einzigen Zwischenfall.
    Mit der Zeit aber begannen sich Siedler und Eingeborene zu arrangieren. Der Handel mit Rinderherden und Lebensmitteln wurde reger, die Arbeitsbedingungen für schwarze Helfer wurden erträglicher. Eine Weile lang sah es aus, als normalisiere sich das Leben in Südwest, und Männer, die ursprünglich allein hierher gekommen waren, setzten sich hin, um lange Briefe an ihre Familien zu schreiben, in denen sie ihre Frauen aufforderten, die Haushalte in der Heimat aufzulösen und sich mit den Kindern und all ihrer Habe auf dem nächsten Dampfer nach Walvis Bay oder Swakopmund einzuschiffen.
    Einer dieser Männer war Lord Luther Selkirk. Er war schon Jahre zuvor als einer der jüngsten Männer zum Ritter geschlagen worden und galt als größter britischer Archäologe seiner Generation. Zahllose Funde in Vorderasien und den indischen Kolonien hatten seinen Namen auch über die Fachwelt hinaus bekannt gemacht, und aus seinen Aufzeichnungen sprach beträchtlicher Stolz auf das, was er erreicht hatte.
    Selkirk war 1847 nach Südwest gekommen, begleitet von einigen seiner Assistenten, zu einem Zeitpunkt, als die Besiedlung des Landes noch Missionaren vorbehalten war. Er verfolgte ein waghalsiges Ziel, das ungewöhnlichste seiner Laufbahn. Bislang hatte er sich auf das Erforschen von Ruinen beschränkt, versunkenen Städten im indischen Dschungel und Tempeln im Wüstensand Arabiens. Jetzt aber war er auf der Suche nach einem Schiff, und er suchte es nicht etwa im Meer, sondern inmitten der Kalahari, im Zentrum einer Wüste, die Hunderte Kilometer vom Ozean entfernt lag.
    Laut Selkirk, der sich auf einen Bericht des griechischen Weltreisenden Herodot bezog, war um 600 vor Christus eine Flotte phönizischer Galeeren zu einer Umrundung des afrikanischen Kontinents aufgebrochen. Die Seeleute waren vom ägyptischen Pharao Necho II. angeheuert worden, um Handelsverbindungen zum sagenhaften Land Punt herzustellen, einem Ort, so hieß es in den Legenden, an dem es Gold und Diamanten im Überfluß gäbe. Die Schatzkammern von Theben und Memphis waren leer, und der Pharao erhoffte sich, daß es gelingen würde, ägyptische Waren gegen Gold, Kupfer und Edelsteine einzutauschen.
    Die Phönizier machten sich in ihren Biremen und Triremen

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