Göttin des Frühlings
an ihrer überschwänglich, sabbernden Bulldogge. »Edith Anne, benimmst du dich wohl? Zuerst muss ich meinen Mantel ausziehen und die Handtasche weglegen.« Der Hund wich einen halben Schritt zurück, aber winselte und wackelte fortwährend mit dem Hinterteil. Flecki-Floh von und zu sprang von seinem Thron auf der Chaiselongue und rieb sich an Linas Beinen, beschwerte sich mit empörtem Miauen, dass sie ihn nicht hinreichend beachtete.
»Verrückte Tiere«, murmelte Lina und hing ihren Mantel auf. »So, kommt mal her!« Sie setzte sich mitten in den Flur. Edith durfte auf ihren Schoß klettern, derweil kraulte sie Flecki am Hals. Die Bulldogge schleckte ihr Frauchen glücklich ab. Die Katze schnurrte. Lina seufzte. »Na, ihr zwei habt wenigstens mein wahres Ich vermisst.« Die Haustiere sahen genauso wohlgenährt und gesund aus wie an dem Abend, als Demeter Lina weggebeamt hatte, doch von dem Moment an, da sie wieder in ihrem Wohnzimmer gelandet war, hatten die beiden sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Sie folgten ihr von einem Zimmer ins nächste. Flecki-Floh ging sogar so weit, dass er sich draußen vor die Badezimmertür setzte und maunzte, wenn Lina ihn nicht hereinließ. »Ihr müsst euch entspannen«, sagte sie zu ihren sie anhimmelnden Haustieren.
Insgeheim war sie jedoch froh, dass die beiden so glücklich waren, sie zurückzuhaben. Zumindest für die Tiere war sie keine Enttäuschung. Alle anderen sahen sie ständig an, als hätte sie plötzlich ein drittes Auge. Nein, anders. Die Leute behandelten Lina nicht, als würde sie etwas Seltsames tun, sie gingen mit ihr um, als würde sie eben
nichts
Besonderes tun, so als würden sie mehr von ihr erwarten.
Wie hatte Persephone eine bessere Lina sein können als sie selbst? Seufzend schob sie Edith Anne von ihrem Schoß. Persephone war eine Göttin. Natürlich wollten die Leute, dass Lina wie sie war. Wer wäre nicht gerne in der Nähe einer Göttin?
Hades … Ihre Gedanken flüsterten seinen Namen, bevor sie sich zusammenreißen konnte. Hades war lieber mit ihr zusammen gewesen als mit irgendeiner Göttin.
Lina schüttelte den Kopf.
»Nein«, erinnerte sie sich. »Das stimmt nicht. Er wollte nur mit mir zusammen sein, solange er dachte, ich sei Persephone.« Sie musste an seinen Blick denken, als er erkannt hatte, wer sie wirklich war.
»Nein!« Sie wollte nicht daran denken.
Sie musste sich in den Griff bekommen. Seit zwei Wochen schmollte sie nun herum wie ein sitzengelassenes Schulmädchen. Sie war schon früher verletzt worden, warum sollte es diesmal anders sein? Es war ja nicht so, dass sie sich gerade scheiden ließ.
Lina starrte in den Flur, in die Ferne. Es war nicht wie eine Scheidung. Es war schlimmer. Warum hatte sie das Gefühl, dass ein Teil von ihr – der beste Teil – fehlte?
Sie erinnerte sich an den Abend, als Hades und sie zugesehen hatten, wie die Seelenverwandten aus dem Fluss Lethe tranken. Er hatte ihr gesagt, dass Seelenverwandte sich immer wiederfanden. Aber was war, wenn sie durch Zeit und Raum getrennt waren? Wurde ihr Herz dann zu einem Ödland? Versandete ihre Fähigkeit zum Glücklichsein, bis sie nur noch wandelnde Hüllen waren und ihren Alltag mechanisch abspulten, ohne sich wirklich lebendig zu fühlen?
So war es mit ihr nicht. Hades konnte nicht ihr Seelenverwandter sein. Er hatte sie abgewiesen. Sie hatte etwas getan, für das sie eigentlich zu alt war. Sie hätte es sich nicht gestatten dürfen. Sie hatte sich in jemanden verliebt, obwohl sie es besser gelassen hätte. Sie hatte einen Fehler gemacht. Sie würde einfach über ihn hinwegkommen und ihr Leben leben müssen.
Sie käme schon zurecht. Sie würde es schaffen. Mit der Zeit würde es nicht mehr so wehtun.
Edith Anne winselte, Flecki-Floh von und zu rieb sich besorgt an Linas Beinen.
Sie drängte die Traurigkeit aus ihrem Herzen und drückte die Schultern durch. »So, ihr beiden. Jetzt machen wir Ambrosia-Frischkäse.«
Egal, wie oft sie die Notiz las, sie bekam dabei immer ein komisches Gefühl. Die Nachricht und das Rezept waren auf Linas privatem Briefpapier geschrieben, das ihre Initialen CFS in der von ihr so geliebten Schrift Copperplate Gothic Bold am oberen Rand trug, und zwar mit ihrem bevorzugten blauen Stift. Auch die Handschrift war ihre eigene. Doch Lina war nicht die Autorin des beidseitig beschriebenen Blattes. Sie hatte es an dem Tag, als Demeter sie zurückbrachte, an Edith Annes Hundefuttereimer geklebt gefunden. Fast
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