Göttin des Frühlings
zusammenrollte, gab die Matratze leicht nach. Edith Anne seufzte, drehte sich zweimal und ließ sich dann auf ihr Hundebett sinken. Lina schloss die Augen, doch bevor sie einschlief, gab sie sich selbst ein Versprechen. Vom nächsten Tag an würde alles anders werden. Persephone hatte recht gehabt – sie war wirklich reich gesegnet.
***
Persephone hatte gegrübelt, als sie dieses Zerren spürte, das immer auftrat, wenn jemand ihren Zauber anwandte. So beiläufig wie möglich entschuldigte sie sich und verließ Hermes’ und Aphrodites ermüdende Gesellschaft. Die Unsterblichen winkten sie beiseite und stritten weiter, wer schöner sei: die Leimoniaden, also die Wiesennymphen, oder die Napaien als Talnymphen. Sie störten sich nicht daran, dass die junge Frühlingsgöttin sich nicht länger an ihrem Gespräch beteiligte. Als Spezialistin für Waldnymphen war sie ungewöhnlich wortkarg gewesen und hatte nichts Belustigendes zu dem Thema beizutragen gehabt. Sie nahmen Persephones Abwesenheit kaum wahr.
Demeter schon.
»Tochter, wohin gehst du?«
Persephone blieb stehen und setzte eine unschuldig gelangweilte Miene auf, bevor sie sich zu ihrer Mutter umdrehte.
»Ach, Mutter, du weißt doch, dass ich es nicht ertragen kann, drinnen zu sein, wenn draußen die Blumen blühen. Die Wiesen rufen mich.«
»Sehr wohl, mein Kind. Ich erwarte aber, dich heute Abend beim Chloeia-Fest zu sehen.«
»Natürlich, Mutter.« Persephone verbeugte sich und verließ den Thronsaal Demeters.
Die Erntegöttin sah ihrer Tochter mit dem scharfen Auge einer Mutter nach. Die große Göttin war bereit, sich einzugestehen, dass der Tausch der Sterblichen mit ihrer Tochter ein Fehler gewesen war. Sicher, ihr Plan hatte die gewünschte Wirkung gehabt. Persephone war reifer geworden. Zu Demeters Überraschung wurde sie sogar Königin der Unterwelt genannt, und die Angehörigen der Toten hatten ihre unermüdlichen Bittgesuche eingestellt. Aber zu welchem Preis? Seit ihrer Rückkehr benahm sich die Frühlingsgöttin nüchterner. Sie gab nur noch selten Gelage und pflegte keinen Umgang mehr mit Halbgöttern. Außerdem war sie launisch und geistesabwesend. Ihr jugendliches Funkeln war schwächer geworden. Demeter machte sich Sorgen um sie. Und ebenfalls sorgte sie sich um die sterbliche Frau.
Carolina Francesca Santoro schien als Stachel im Gewissen der alten Göttin einen festen Platz eingenommen zu haben, und das war nicht angenehm. Demeter konnte einfach nicht den puren Schmerz im Gesicht der Sterblichen vergessen, als sie von Hades zurückgewiesen worden war. Demeter hatte Carolina sehr weh getan, und das war nicht ihre Absicht gewesen.
Dann gab es noch diese verstörenden Gerüchte. Die Unsterblichen flüsterten, Hades sei verrückt geworden. Er wolle niemanden sehen. Man erzählte sich sogar, er hätte sich geweigert, Zeus eine Audienz zu gewähren, als der Göttervater das dunkle Reich betreten hatte.
»Eirene«, rief Demeter ihre alte Freundin zu sich. »Es muss etwas wegen Hades unternommen werden.«
»Schon wieder?«, fragte Eirene.
»Schon wieder«, erwiderte die Göttin.
Durch das Orakel ihrer Mutter beobachtete Persephone, wie Lina um die Eiche herum tanzte. Sie lächelte, als die kleinen Nymphen sich zu ihr gesellten. Linas Körper wirbelte mit einer Anmut umher, die Persephone als nicht rein sterblich erkannte.
»Ihr Körper kann sich erinnern«, flüsterte die Frühlingsgöttin dem Orakel zu. »Er hat die Berührung einer Göttin gespürt, das hat ihn für immer verändert …«
So wie auch sie nie wieder dieselbe sein würde, beendete Persephone den Gedanken schweigend. Carolina war nicht mehr in ihrem Körper, doch sie hatte etwas Wesentliches von sich zurückgelassen. Geistesabwesend fuhr Persephone über die Narzisse aus Amethyst, die in ihrem Ausschnitt hing. Die Kette war zerrissen, doch die Göttin hatte sie sich um den Hals geknotet. Sie hätte sie entfernen und reparieren lassen können, doch sie hatte sich nur sehr ungern davon trennen wollen. Auf gewisse Weise empfand sie die Berührung der Kette als beschwichtigend.
Lina hatte ihren Tanz beendet und kehrte nach Hause zurück. Persephone sah zu, wie sie nackt vor ihrem Spiegel stand. Ihr Lächeln spiegelte das der Sterblichen. Sie war stolz auf die Veränderungen, die sie in Lina ausgelöst hatte. Die Frühlingsgöttin konnte sich noch gut an das Brennen der müden Muskeln und an ihre eigene Genugtuung erinnern, als Linas Körper fitter und
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