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Göttin des Frühlings

Göttin des Frühlings

Titel: Göttin des Frühlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.C. Cast
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das Lob schien das Licht zu tanzen. Lina musste grinsen. »Gut, wir sind so weit«, sagte sie zu Demeter.
    Die drei gingen los. Jetzt führte Lina mit ihrem Licht die Truppe an. Der breite Tunnel verlief steil abwärts, die Wände glichen denen im Eingang. Die dunklen Flächen waren mit bunten Fresken verziert, deren Fröhlichkeit nicht so recht zu der tiefen Düsternis passte. Lina wollte Demeter gerade fragen, wer diese Szenen gemalt habe, da wurde der Tunnel breiter, und sie standen inmitten unendlicher Schwärze. Vor ihnen nahm ein Wäldchen Gestalt an. Lina betrachtete die Bäume.
    »Geisterbäume«, flüsterte sie ehrfürchtig. So sahen sie tatsächlich aus. Obwohl die kräftigen Zweige gesund wirkende Blätter trugen, waren die Bäume weiß – Stämme, Äste, Laub –, alles hatte die Farbe von Milch. Lina war fasziniert. Die Schönheit der Bäume war zart und überirdisch, sie sprachen sie auf einer tiefen, elementaren Ebene an.
    »Hinter diesem Wäldchen wirst du den Eingang zur Unterwelt finden.« Demeter hob die Stimme und rief: »Eurydike, komm hervor!«
    Lina spürte, wie sich ihr Magen vor Nervosität zusammenzog. Jetzt würde sie ihre erste Tote kennenlernen. Nein! Sie musste aufhören, sich das Mädchen als tot vorzustellen, das jagte ihr bloß Angst ein. Sie musste Demeters Worte in Erinnerung behalten – es waren nur vertriebene Seelen, ähnlich wie sie selbst.
    Im Wäldchen bewegte sich etwas. Lina zwang sich, ruhig weiterzuatmen, als eine schmale Gestalt zwischen den Bäumen hervorkam und zielstrebig auf sie zusteuerte. Lina wickelte sich eine lange Haarsträhne mehrmals um den Finger und versuchte dabei angestrengt, die Gestalt klar zu erkennen, doch sie sah lediglich verschwommen langes Haar und ein wehendes transparentes Gewand. Dann trat Eurydike in den Lichtkreis, und Lina spürte, dass sich ihre Anspannung in Wohlgefallen auflöste. Vor ihr stand kein wandelndes Gespenst oder ein Zombie wie aus
Die Nacht der lebenden Toten
, sondern lediglich ein blasses, verängstigtes Mädchen.
    Zögernd näherte sie sich Demeter und machte einen tiefen Knicks. Erst da bemerkte Lina, dass der Körper des Mädchens nicht so solide war, wie er anfangs gewirkt hatte. Bei näherer Betrachtung erkannte sie, dass das Licht den Körper und das seidene, togaähnliche Kleid durchdrang. Eurydike war kein Schatten oder Geist, sie war eher ein unfertiges Aquarell, das zum Leben erwacht war. Lina spürte mütterliche Zuneigung. Das Mädchen war noch so jung. Was war nur mit ihr geschehen?
    »Große Göttin, ich habe dein Kommen erwartet, wie du angeordnet hast.« Ihre Stimme war süß und melodisch.
    »Das hast du wohl getan, mein Kind. Dieses ist die letzte Aufgabe, die ich von dir verlange. Ich bitte dich, meiner Tochter eine Führerin zu sein, da sie die Unterwelt zu besuchen wünscht«, sagte Demeter.
    »Ich freue mich, dir auf jede erdenkliche Weise zu dienen, Demeter«, sagte Eurydike. Sie wandte sich an Lina und senkte ehrfurchtsvoll den Kopf. »Es ist mir eine große Ehre, dass die Göttin des Frühlings mich auf dem Weg ins Elysium begleiten wird.«
    »Danke für deine Hilfe, Eurydike.« Lina lächelte das Mädchen warmherzig an. »Ich bin noch nie in der Hö...« – gerade noch rechtzeitig fing sie sich und suchte eine andere Formulierung in der Hoffnung, dass das Kind ihren Ausrutscher nicht bemerkt hatte – »… im Hades gewesen.«
    »Ich auch noch nicht, Göttin.«
    Eurydikes Stimme war überschattet von Traurigkeit, und Lina hätte sich für ihre unsensible Bemerkung am liebsten vor die Stirn geschlagen, doch bevor sie sich entschuldigen konnte, sprach Demeter das junge Mädchen an.
    »Auch wenn du die Wunder von Elysium noch nicht kennengelernt hast, so weiß deine Seele doch den Weg und strebt danach, dich zu deinem ewigen Ziel zu bringen. Wie dich deine Seele leitet, so wirst du meine Tochter leiten, und ich vertraue sie deiner Sorge an«, sagte Demeter mit sanfter Stimme und mütterlichem Gesichtsausdruck.
    Eurydike senkte den Kopf, offenbar demütig ob des Vertrauens der Göttin. Demeter wandte sich an Lina.
    »An dieser Stelle muss ich von dir Abschied nehmen, Persephone.«
    Demeter umarmte ihre Tochter, und Lina wurde umfangen vom vollen Sommerduft reifen Korns und windgepeitschter Weizenfelder.
    »Möge dein Aufenthalt in der Unterwelt den Frühling in Hades’ Reich bringen und jenen Trost spenden, die die Anwesenheit einer Göttin vermisst haben. Gehab dich wohl, meine Tochter, mein

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