Göttin des Frühlings
herein und lief ihm in den Rücken.
»Uff!« Er stolperte einige Schritte weiter, fiel über seine eigenen Füße und schlug mit dem Kopf auf den Boden.
Die beiden Frauen schauten sich mit großen Augen an. Lina grinste. Sie konnte nicht anders. Iapis sah normalerweise so würdevoll aus, und jetzt lag er der Länge nach auf dem Boden. Ein ersticktes Lachen entschlüpfte ihr.
Auch Eurydike gab ein leises Geräusch von sich, sanft und wonnig. Es war auf jeden Fall ein Kichern. Und es raubte Lina den letzten Rest von Selbstbeherrschung.
In dem Bemühen, seinen angeschlagenen Stolz wiederzuerlangen, rappelte Iapis sich auf, doch das melodische Lachen der Frauen entschädigte ihn mehr als genug für seine angeschlagene Würde, und ehe er sich versah, fiel er in das Gelächter ein.
Wie sehr er sich wünschte, dass Hades dabei wäre. Der Gott brauchte so dringend etwas Fröhlichkeit in seinem Leben.
»Offenbar bin ich über eine winzige« – immer noch schmunzelnd schaute er auf die glatte Marmorfläche zu seinen Füßen – »Unebenheit im Boden gestolpert.«
»Diese Unebenheit nennt sich Eurydike«, schnaubte Lina.
Erfolglos versuchte der kleine Geist, sein Kichern hinter vorgehaltener Hand zu verbergen.
»Dann muss ich in Zukunft auf diese winzige Unebenheit besonders Acht geben.«
Iapis’ Blick war warm vor guter Laune und vielleicht noch etwas anderem, dachte Lina und beobachtete, wie Eurydikes blasse Wangen Farbe annahmen. Gedankenverloren schaute sie dem Daimon nach, der sich verbeugte und ohne einen weiteren Zwischenfall das Zimmer verließ.
»Ach, Persephone, ich hatte so einen aufregenden Tag!« Eurydike sprang zum nächsten Schrank. Sie summte eine beschwingte Melodie und zog Schubladen auf, bis sie die Nachthemden der Göttin fand. »Iapis hat ganz wunderbares Pergament und Kohle gefunden, und ich habe schon mit einer Skizze des Palastes angefangen.«
»Das ist schön, Eurydike«, sagte Lina. In Gedanken noch bei der Wärme in den Augen des Daimons, hörte sie nicht richtig zu, sondern nickte geistesabwesend und erlaubte dem Mädchen, sie aus ihrem Gewand zu wickeln. Lina streckte die Arme aus, und Eurydike zog ihr das lange Nachthemd über den Kopf. Mit der Hand fuhr Lina über den Stoff. Es war weißer Satin, kunstvoll bestickt mit Narzissenblüten. Er fühlte sich an wie Wasser auf ihrer Haut.
»Geh zum Toilettentisch und setz dich, ich bürste dir die Haare. Du siehst erschöpft aus«, sagte Eurydike. Sie hatte ihre Göttin genau beobachtet, und ihr waren die dunklen Ringe unter den veilchenblauen Augen nicht entgangen.
Lina ließ sich auf den gepolsterten Toilettenstuhl sinken und seufzte wohlig, als Eurydike begann, ihr das Haar in langen, glatten Strichen zu bürsten. Ihr war nicht klar gewesen, wie müde sie war. Das Mädchen plauderte fröhlich über ihre Fortschritte beim Zeichnen des Palastes. Der Klang ihrer jungen Stimme war fast so beruhigend wie die Berührung ihrer Hände. Lina spürte, wie sich ihre Schultern entspannten und ihre Gedanken abschweiften.
Nachdem Hades aus dem Speisesaal gestürmt war, hatte sie ihr Mahl beendet und den Rest der Weinflasche getrunken. Nein. Tatsächlich hatte sie zuerst über Männer im Allgemeinen geflucht, erst
dann
hatte sie beschlossen, dass sie sich ein wirklich gutes Essen nicht schon wieder von einem Mann mit mangelhaftem Benehmen verderben lassen würde. Als das leckere Mahl vertilgt und der hervorragende Wein getrunken war, hatte sie einfach laut Iapis’ Namen ausgesprochen. Innerhalb von Sekunden reagierte er auf ihren Ruf, bereit, sie zurück zu ihrem Schlafgemach zu geleiten. Auf dem Weg dorthin hatte er vage Anspielungen gemacht, wie wenig Besucher es in der Unterwelt gäbe, wie wenig Übung er darin hätte, Gäste zu unterhalten und mit ihnen zu plaudern. Er hatte gesagt, sie würde hoffentlich kein vorschnelles oder allzu strenges Urteil über ihn und die Unterwelt fällen.
Lina verstand die Botschaft klar und deutlich. Iapis sprach natürlich nicht von sich, sondern von Hades. Offenbar entschuldigte er sich für das Verhalten seines Herrn. Sie war so verstimmt und angetrunken gewesen, dass sie beinahe zu Iapis gesagt hätte, er solle seinem Herrn eine besonders deftig schillernde Nachricht auf Italienisch überbringen, doch der Rest ihres gesunden Menschenverstands hatte zum Glück dafür gesorgt, dass sie den Mund hielt.
Hades war ein Gott, und sie befand sich in seinem Reich. Es war nicht klug, sich ihm entgegenzustellen, und
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