Göttin des Frühlings
nach Liebe. Und Liebe kann nicht existieren, wo Lug und Trug herrschen«, sagte Hades.
»Du weißt sehr viel über die Liebe«, sagte Lina nachdenklich.
Hades überlegte, bevor er die nächsten Worte sprach, und er spürte wieder, wie sich Hoffnung in ihm regte. »Ich habe Äonen damit verbracht, die Seelen der Toten zu studieren, und bin zu dem Schluss gekommen, dass Liebe ein Gefühl ist, das die Sterblichen unendlich viel besser kennen als die Götter.«
Lina blinzelte überrascht. Die Sterblichen kannten die Liebe besser als die Götter? Für eine Frau, die geschieden und seit Jahren nicht mehr richtig verabredet gewesen war, waren diese Worte ein regelrechter Schock.
»Denkst du das wirklich?«, fragte sie ungläubig.
Hades spürte, wie seine aufkeimende Hoffnung verkümmerte. »Ja, ich weiß, dass es die Wahrheit ist«, sagte er mit grimmiger Endgültigkeit, bevor er Iapis zunickte, der daraufhin mit dem Speer auf den Boden pochte.
Lina hatte wenig Zeit, um über Hades’ Reaktion nachzudenken. Auf Iapis’ Befehl hin löste sich die nächste schattenhafte Gestalt aus dem Torbogen, und Lina beobachtete, wie eine blasse Frau zögernd durch den Thronsaal schritt. Sie war merklich unauffälliger gekleidet als Stheneboia, doch ihr Gewand wirkte ebenso kostbar, und ihr dunkles Haar war ähnlich aufwendig frisiert. Ein kleines Diadem zierte ihren Kopf. Als sie näher kam, erkannte Lina, dass sie eine rundliche, aber attraktive Frau von Mitte dreißig war. Mit einem Schreck wurde ihr klar, dass der scharlachrote Fleck vorne auf ihrem Gewand eine offene Wunde war, aus der noch Blut sickerte.
Der Geist machte einen tiefen Knicks.
»Persephone und Hades, es ist mir eine Ehre, mich vor der Frühlingsgöttin sowie vor dem Herrn der Unterwelt zu verneigen.«
Die Stimme der Frau war kräftig und königlich. Lina lächelte und senkte den Kopf zur Begrüßung.
»Sei gegrüßt, Dido. Welches Begehren will die Königin von Karthago mir heute vortragen?«, fragte Hades.
»Hades, ich erflehe deinen Segen, dass ich den Bereich des Klagens am Fluss Kokytos verlassen und ins Elysium gehen darf.«
Nachdenklich musterte der Gott den Geist. »Hast du den Schmerz über deine unerwiderte Liebe verwunden, Dido?«
Die Frau senkte den Blick, nicht kokett wie Stheneboia, sondern auf eine Art, die Lina nur zu gut aus ihrer eigenen Vergangenheit kannte. Sie wandte sich ab, um den Schmerz zu verbergen, der noch immer in ihren Augen stand.
»Ja, großer Gott. Ich klage nicht mehr um das, was ich nicht haben kann.«
Unruhig rutschte Lina auf ihrem Stuhl herum und warf Hades einen Seitenblick zu. Das würde er Dido doch wohl nicht glauben?
Hades rieb sich das Kinn und betrachtete die tote Königin. »Was hast du aus deiner Zeit der Klage gelernt?«
»Das ich stärker an die Kraft der Liebe hätte glauben sollen. Ich hätte wissen müssen, dass Äneas nur Zeit braucht. Ihm wurde von Zeus befohlen, mich zu verlassen – was blieb ihm anderes übrig? Er war ein frommer Mann, ein Krieger von großem Glauben. Es war nicht seine Schuld. Ich hätte verständnisvoller sein sollen, hätte ihn mehr …« Ihre Worte gingen in einem Schluchzen unter. Sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Dido, du hast deine Trauer noch nicht verwunden«, sagte der Gott mit sanfter Stimme.
»Doch, das habe ich!« Die Königin von Karthago hob das Kinn und wischte ihre Tränen fort. »Ich bin einfach nur erfüllt von Ehrfurcht wie ein Kind, weil ich hier vor den Unsterblichen stehe, das macht mich unsicher.« Ihre glänzenden Augen huschten panisch zu Lina, ersuchten die Göttin um Hilfe.
Voller Mitleid erwiderte Lina den Blick der verzweifelten Frau. Sie wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, verlassen zu werden und sich selbst die Schuld daran zu geben.
»Ich gewähre dir deine Bitte, Dido. Mit meinem Segen magst du das Elysium betreten.«
Hades’ Worte erschütterten Lina bis ins Mark. Ohne es zu wollen, starrte sie den Gott entsetzt an, während eine überglückliche Dido aus dem Thronsaal rauschte.
Wieder setzte Iapis an, mit dem Speer zu pochen, und erneut ließ ihn eine Geste seines Herrn innehalten.
»Bist du mit meiner Entscheidung nicht einverstanden, Persephone?« Er drehte sich auf dem Thronsessel zu ihr um.
Lina drückte den Rücken durch und erwiderte seinen Blick.
Du bist eine Göttin … du bist eine Göttin … du bist … Nein.
Sie unterbrauch ihr stummes Mantra. Wichtiger noch war, dass sie eine Frau war, die im wahren Leben
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