Goettin in Gummistiefeln
ein wenig Ruhe eingekehrt ist.
Ich schaue mir die neueren Einträge an - nicht älter als ein Jahr, oder so -, wo die Tinte noch schön dunkelblau ist.
41. Mal in Urlaub fahren.
42. Freunde zum Essen einladen?
43. MILCHMANN!?
Frustriert starre ich die Liste an. Wie kann es sein, dass ich noch gar nichts davon erledigt habe? Gereizt pfeffere ich den Stift in eine Ecke, setze den Kessel auf und widerstehe mannhaft dem Drang, die beschissene Liste in Fetzen zu reißen.
Als das Wasser kocht, mache ich mir eine Tasse mit so einem komischen Heilkräutertee, den ich mal von einem Klienten geschenkt bekommen habe. Ich greife in die Obstschale, um mir einen Apfel zu nehmen - nur um festzustellen, dass ihm schon ein pelziges Fell gewachsen ist. Igitt. Schaudernd leere ich den gesamten Inhalt der Obstschale in den Mülleimer und genehmige mir stattdessen ein paar Cornpops aus einer noch offenen Packung.
Ehrlich gesagt mache ich mir nicht die Bohne aus dieser Liste. Ich will nur eins.
Wild entschlossen, mir in keinster Weise anmerken zu lassen, dass heute ein besonderer Tag für mich ist, treffe ich in der Kanzlei ein. Ich werde einfach den Tunnelblick aufsetzen und mich in die Arbeit stürzen.
Doch schon während ich im Lift nach oben fahre, kriege ich von drei verschiedenen Leuten ein gemurmeltes »viel Glück«. Dann, als ich den Flur entlanggehe, klopft mir plötzlich jemand aus der Abteilung Steuerrecht auf die Schulter und sagt, »viel Glück, Samantha«.
Woher weiß der meinen Namen?
Eilig schlüpfe ich in mein Büro und ziehe die Tür hinter mir zu. Die Tatsache, dass ich durch die Glasfront sehen kann, wie die Leute im Flur die Köpfe zusammenstecken und tuscheln und zu mir hinschauen, versuche ich zu ignorieren.
Wäre ich doch gar nicht erst hergekommen. Hätte ich doch irgendeine lebensbedrohliche Krankheit vorgeschützt.
Nun ja, nix zu machen. Schließlich habe ich genug zu tun, das ist heute nicht anders als sonst. Ich nehme Kettermans Akte zur Hand, suche mir die Stelle, wo ich gestern stehen geblieben war, und nage mich systematisch durch ein Dokument über einen fünf Jahre zurückliegenden Aktientransfer.
»Samantha?«
Ich blicke auf. Guy steht im Türrahmen, zwei Kaffeetassen in der Hand. Eine davon stellt er mir auf den Schreibtisch.
»Hallo«, sagt er, »na, wie geht‘s?«
»Gut, gut«, wiegle ich ab und blättere cool eine Seite um. »Völlig ...normal. Ist mir schleierhaft, warum hier jeder so einen Aufstand macht.«
Ich spüre, wie ich angesichts von Guys amüsierter Miene ein wenig rot werde. Um ihm zu beweisen, wie wenig mich das Ganze kratzt, blättere ich schwungvoll weiter - und fege prompt die ganze Akte vom Tisch.
Dem Himmel sei Dank für Heftklammern.
Mit rotem Kopf sammle ich die Akte vom Boden auf und stopfe die Papiere wieder hinein. Jetzt erst mal einen Schluck Kaffee.
»Normal. Genau.« Guy nickt mit todernster Miene. »Bloß gut, dass du überhaupt nicht nervös bist, oder so.«
»Ja, gut, nicht?« Bei mir läuft er mit so was ins Leere.
»Na, also dann bis später.« Er prostet mir mit seiner Kaffeetasse zu und geht. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr.
Erst acht Uhr vierunddreißig. Das überlebe ich nicht.
Irgendwie schaffe ich es dann doch. Ich arbeite mich durch Kettermans Akte und fange anschließend gleich mit dem Bericht an. Ich habe kaum den dritten Absatz beendet, als Guy wieder auftaucht.
»Hallo«, sage ich, ohne aufzublicken. »Mir geht‘s gut, okay? Und nein, ich habe noch nichts gehört.«
Guy antwortet nicht.
Schließlich hebe ich doch den Kopf. Er steht direkt vor meinem Schreibtisch und blickt mich mit einem Ausdruck an, wie ich ihn noch nie bei ihm gesehen habe: eine Mischung aus Stolz, Zuneigung und Erregung, die hinter einer unbewegten Pokermiene brodelt.
»Ich weiß, ich sollte das eigentlich nicht, aber ich kann nicht anders«, murmelt er. Dann beugt er sich vor. »Du hast‘s geschafft, Samantha. Du bist Seniorpartnerin. In einer Stunde wird es offiziell bekannt gegeben.«
Mir bleibt fast das Herz stehen.
Ich hab‘s geschafft. Ich hab‘s geschafft.
»Aber von mir hast du das nicht, okay?« Ein Grinsen huscht über sein Gesicht. »Gratuliere.«
»Ah ... ah ... danke«, stammle ich.
»Bis nachher. Dann werde ich dir richtig gratulieren.« Und schon ist er wieder verschwunden. Ich starre wie blind auf meinen Monitor.
Ich bin Seniorpartnerin.
O mein Gott. O mein Gott. O mein GOTT!
Ich krame hastig einen Handspiegel hervor und
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