Goettin in Gummistiefeln
Dann greife ich zum Telefon, drücke auf den »Pizzaknopf« und habe sofort meine Lieblingspizzeria dran. Ich bestelle das Übliche: eine Capricciosa und eine Tüte Kettle Chips. Dann schenke ich mir ein Glas von dem Tütenwein ein, den ich noch im Kühlschrank stehen habe, schleppe mich ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher ein.
Ein Nähkästchen, also wirklich. Womit kommt sie mir als Nächstes? Mit Stricknadeln und einem Webstuhl?
Ich lasse mich aufs Sofa sinken und zappe mich durch die Kanäle. Nachrichten ... ein französischer Spielfilm ... irgendeine Tiersendung ...
Stopp, das ist es. Ich lege die Fernbedienung auf dem Sofatisch ab und kuschele mich ins Kissen.
Die Waltons.
Was Besseres gibt‘s nicht, wenn man abschalten will. Genau was ich brauche.
Es ist eine Art Schlussszene. Die Familie sitzt am Abendbrottisch. Grandma spricht das Tischgebet.
Ich nehme einen kräftigen Schluck Wein und spüre förmlich, wie sich meine Anspannung löst. Ich liebe die Waltons, schon seit ich ein Kind war. Früher saß ich oft allein im Dunkeln, wenn alles ausgeflogen war, und stellte mir vor, ich würde bei den Waltons leben.
Und jetzt kommt die eigentliche Schlussszene, die, auf die ich mich immer am meisten freue: das Haus der Waltons von außen; es ist dunkel, die Lichter im ersten Stock gehen nacheinander aus, Grillen zirpen, die Stimme von John Boy aus dem Off. Ein ganzes Haus, voll mit einer einzigen großen Familie. Ich schlinge die Arme um meine Knie und verfolge sehnsüchtig die Szene, lausche der vertrauten Filmmelodie.
»Gute Nacht, Elizabeth!«
»Gute Nacht, Grandma«, sage ich laut. Ist ja nicht so, als ob mich jemand hören könnte.
»Nacht, Mary Ellen!«
»Gute Nacht, John Boy«, sagen Mary Ellen und ich im Chor.
»Gute Nacht.«
»Nacht.«
»Nacht.«
4
Ich fahre hektisch aus dem Schlaf, einen Fuß bereits aus dem Bett, mit der Hand panisch nach einem Stift tastend, und murmele irgendetwas vor mich hin.
So wache ich meistens auf. Liegt wohl in der Familie. Wir sind alle eher nervöse Schläfer. Vergangenes Weihnachten, in Mum‘s Haus, habe ich mich mal gegen drei Uhr morgens auf einen Schluck Wasser in die Küche runtergeschlichen - und bin prompt in Mum reingerannt, die dort im Morgenmantel herumstand und in einer Akte las, und in Daniel, der den Fernseher angestellt hatte und sich mit einer Dose Bier in der Hand über den aktuellen Stand des Hang Seng informierte.
Ich schwanke ins Bad und werfe einen Blick in den Spiegel. Käsebleich wie immer. Aber heute ist es so weit. Heute wird sich entscheiden, ob ich für all das Büffeln, für all die harte Arbeit, all die langen Nächte, den verdienten Lohn bekomme ... oder auch nicht.
Seniorpartnerin. Oder nicht Seniorpartnerin.
Ogottogott. Aufhören. Bloß nicht dran denken. Ich tapse in die Küche und schaue in den Kühlschrank. Mist. Schon wieder keine Milch mehr da.
Und auch kein Kaffee.
Ich muss mir wirklich endlich mal eine Firma raussuchen, die mir all das ins Haus liefert. Und einen Milchmann. Ich angle mir einen Kuli und kritzle, »47. Lebensmittellieferungen/Milchmann?« ans Ende meiner Liste von Erledigungen.
Diese Liste hängt an meiner Wand und soll mich an all die alltäglichen Pflichten erinnern, die man als hart arbeitender Mensch so leicht vergisst. Das Papier ist schon ein wenig vergilbt, wie ich jetzt bemerke - die obersten Zeilen so ausgebleicht, dass man sie kaum mehr lesen kann. Aber es ist eine gute Methode, um den Überblick zu behalten, finde ich.
Mir kommt der Gedanke, dass ich die oberen Einträge eigentlich wirklich einmal ausstreichen könnte. Ich meine, das habe ich vor drei Jahren geschrieben, als ich hier einzog! Das müsste doch inzwischen längst erledigt sein. Ich zücke den Kuli und studiere mit konzentriert verengten Augen die verblichenen obersten Zeilenreihen.
1. Milchmann ausfindig machen
2. Lebensmittellieferungen - welche Firma?
3. Wie schaltet man den Herd ein? Gebrauchsanweisung!
Ach. Äh. Na gut, ich werde das anpacken, sobald ich Zeit habe. Am Wochenende. Ganz ehrlich. Und den Herd nehme ich mir jetzt endlich auch mal vor. Werde mir die Gebrauchsanweisung von vorne bis hinten durchlesen.
Rasch überfliege ich die Eintragungen im mittleren Bereich, die so etwa zwei Jahre alten.
16. Milchmann!!!
17. Abends mal Freunde einladen?
18. Hobby zulegen.
Die Sache ist die, ich habe wirklich vor, mal ein paar Freunde zu mir einzuladen. Und mir ein Hobby zuzulegen. Sobald in der Kanzlei
Weitere Kostenlose Bücher