Goettin in Gummistiefeln
schaue hinein. Meine Wangen glühen. Am liebsten würde ich aufspringen und JAAAA! brüllen. Am liebsten würde ich laut schreiend umherspringen. Wie soll ich bloß die nächste Stunde durchstehen? Ich kann doch nicht einfach ruhig sitzen bleiben? Jetzt kann ich mich beim besten Willen nicht mehr auf den Bericht für Ketterman konzentrieren.
Nur um irgendetwas zu tun, stehe ich auf und gehe zum Aktenschrank. Fahrig mache ich irgendwelche Schubladen auf und wieder zu. Als ich mich umdrehe, fällt mein Blick auf meinen Schreibtisch.
Ketterman hat Recht. Der reinste Saustall. So sieht kein Schreibtisch eines Seniorpartners aus.
Hier muss erst mal klar Schiff gemacht werden. Genau das Richtige, um eine Stunde rumzukriegen. 12:06-13:06: Schreibtischadministration. Wir haben sogar ein Codewort. Für die Abrechnung.
Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich Aufräumen hasse.
Was da alles zum Vorschein kommt: Firmenschreiben ... alte Verträge, die längst hätten abgelegt werden müssen ... alte Einladungen ... Memos ... eine Pilates-Werbebroschüre ... eine CD, die ich mir vor drei Monaten gekauft und wie verrückt gesucht hatte ... Arnolds Weihnachtskarte vom letzten Jahr, auf der er selbst in einem wolligen Rentierkostüm abgebildet ist. Ich muss lächeln, als ich sie sehe. Die kommt auf den Stapel mit »Dingen, für die ich noch einen geeigneten Platz suche«.
Diverse Grabsteine tauchen auf - so nennen wir die mit Gravur versehenen Plexiglas klotze, die wir immer dann kriegen, wenn ein besonders großer Deal erfolgreich über die Bühne gegangen ist. Und ... igitt, ein angebissenes Snickers, das ich aus irgendeinem Grunde nie aufgegessen hatte. Ab in den Müll. Mit einem Seufzer wende ich mich dem nächsten Stapel zu.
Warum gibt man uns auch derart riesige Schreibtische? Nicht zu fassen, was sich da alles für Kram ansammelt!
Partner! Schießt es mir jubelnd durch den Kopf, wie ein ganzer Strauß Feuerwerksraketen. PARTNER!
Jetzt reiß dich mal zusammen, befehle ich mir streng. Konzentrier dich auf die Arbeit. Ich nehme eine alte Ausgabe vom Lawyer zur Hand und frage mich unwillkürlich, warum zum Teufel ich die aufgehoben habe. Ein paar mit einer Heftklammer zusammengeklammerte Blätter fallen heraus. Ich hebe sie auf und überfliege sie, mit den Gedanken schon beim nächsten Stapel. Es ist ein Memo, von Arnold.
Betr. Third Union Bank
Anbei Schuldverschreibung von Glazerbrooks Ltd. mit der Bitte
um fristgemäße Vormerkung.
Ich lese es ohne großes Interesse. Die Third Union Bank gehört zu Arnolds Klientel. Ich hatte erst einmal mit ihnen zu tun. Es geht um ein Darlehen für Glazerbrooks über fünfzig Millionen Pfund, und alles, was ich tun muss, ist, die Schose beim Amt für Kapitalgesellschaften, dem Companies House, vormerken zu lassen. Bloß einer von diesen öden Jobs, die einem die Seniorpartner ständig aufs Auge drücken. Aber jetzt nicht mehr, denke ich mit jäh aufwallender Entschlossenheit. Ja, ich glaube, ich werde dies hier gleich an ein anderes armes Schwein weiterreichen. Mein Blick fällt auf das Datum.
26. Mai.
Das war vor fünf Wochen. Nein, das kann nicht sein.
Verwirrt blättere ich die Papiere durch. Das muss ein Tippfehler sein. Aber es steht überall dasselbe Datum: 26. Mai.
26. Mai?
Wie gelähmt starre ich das Memo an. Das liegt doch nicht etwa seit fünf Wochen auf meinem Schreibtisch?
Aber ... nein. Ich meine ... das ist unmöglich. Das würde ja heißen -
Es würde heißen, dass die Frist bereits abgelaufen ist.
Ein gigantischer Kloß sitzt auf einmal in meinem Hals. Ich schlucke. Ich muss das falsch gelesen haben. Ich kann doch unmöglich so einen dämlichen Fehler gemacht haben. Ich kann doch unmöglich übersehen haben, das Darlehen rechtzeitig vormerken zu lassen. Ich achte doch immer auf die Fristen.
Ich mache die Augen zu, atme tief durch, versuche mich zu beruhigen. Das muss ein Irrtum sein. Wahrscheinlich habe ich aus Aufregung über meinen Karrieresprung nicht richtig gelesen. Ja, das muss es sein. Mein Hirn ist heute nicht ganz auf dem Posten. Also gut. Schauen wir uns die Sache noch einmal an. In aller Ruhe.
Ich öffne die Augen und blicke auf das Memo - aber da steht immer noch dasselbe: bitte vormerken lassen. Datum: 26. Mai. Schwarz auf weiß. Und das bedeutet, dass das Darlehen nicht gesichert ist. Was wiederum bedeutet, dass ich den dümmsten Anfängerfehler gemacht habe, der einem Anwalt unterlaufen kann.
Meine Glücksblase platzt wie ein angepiekster
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