Goettinnensturz
Fotos von Kindern, natürlich blond und in Tracht.
»Na? Stehst du jetzt auf das Lederzeug?«, lästerte Berenike und hasste sich gleich darauf für ihren Tonfall. Aber sie bekam dieses Bild nicht aus dem Kopf. Jonas und Franziska und vor ihnen der Abgrund … Als hätte es sich als Negativ auf ihrer Linse eingebrannt.
»Und wenn? Ist doch schick, oder? Glaubst nicht, dass mir das stehen würd’?« Er drehte sich nach links, nach rechts, betrachtete sich im spiegelnden Glas.
»Ich bitt’ dich. Das ist Nazi-Kram …«
»Geh, Nike, hör auf damit! Du hast selbst ein Trachtenkleid auf dem Ball letztes Jahr getragen.«
»Das ist was anderes, auf einem Trachtenball geht das nicht anders. Ich würde nie …«
Mit hochgezogener Braue sah Jonas sie an.
»Meine Großeltern haben mich als Kind immer in Dirndlkleider gesteckt. Und mir Zöpfe geflochten. Und dann darüber gelästert, dass das mit meinen schwarzen Haaren nie eine fesche Frisur wird. Um Selene hingegen ist die Großmutter immer herumscharwenzelt. Blond, blaue Augen, klar hat ihr meine Schwester besser gefallen.«
»Nike, entspann dich. Die Nazizeit ist Jahrzehnte her und deine Oma ist tot. Heut kann man doch …«
»Aber nicht mit blonden Haaren und blauen Augen!«
»Darum geht’s nicht. Ich bin nicht blond«, lachte Jonas auf.
»Bist du nicht, nein, das bist du wahrlich nicht.« Jetzt lachte es aus ihr heraus. Sie fühlte sich frei und leicht, als könnte sie alles Schwere abschütteln. Auch die Gedanken an BDM-Mädel im Dirndl oder Gestapo-Männer im Ledermantel. Manches Mal überkam es sie immer noch. Der ganze Hass – Hass, der aus Hass geboren wurde. Und aus Angst. Ja, Angst.
Sie führte sich lächerlich auf. Warum eigentlich? Weil sie sich daran erinnerte, wie saublöd sie als Kind im Dirndl ausgesehen hatte? Weil andere Mädchen sie ausgelacht hatten? Die, typisch 70er-Jahre, mit Schlaghosen daherkamen? Oder lag es an den Großeltern – verdächtigte sie die Großmutter am Ende? Wessen eigentlich?
»Nike, ich versteh dich. So eine lederne Haut wär aber schon sehr … praktisch.« Jonas fuhr grinsend mit beiden Händen seine schmalen Hüften entlang. Nicht mehr ganz so schlank wie früher, aber immer noch kaum ein Gramm Fett an dem Mann. Wie bei ihrem Kennenlernen damals in jenem heißen Frühsommer, als der tote Dichter in ihrem Salon entdeckt worden war. Ungerecht … Während sie ständig trainieren musste, hielt er mühelos sein Gewicht, weiß der Himmel wie. Sie stimmte in sein Lachen ein und für einen Moment schien alles gut.
Sein großer Körper spiegelte sich im Schaufenster. Fast hätte man meinen können, sein Schatten trüge die Hose aus dem dünnen, hellen Rauleder. Als wäre das tote Tier seine Haut.
Jonas wandte sich von der Auslage ab und strich sich die Haare aus der Stirn. »Fahren wir.«
Sie stiegen ins Auto. Müde sah er jetzt wieder aus. Er kontrollierte den Sitz seines Verbandes, das Weiß der Gaze war schmutzig, ein wenig rötlich. Vielleicht nur das Desinfektionsmittel.
»Du solltest wirklich in Krankenstand gehen, Jonas.«
»Nike, nicht. Bitte.«
»Du siehst total überarbeitet aus und die Schussverletzung …«
»Bitte.« Er seufzte müde auf. »Das haben wir alles durchgekaut. Lass mich in Ruhe damit. Es geht jetzt nicht.«
Oben in der Wohnung angekommen, maunzten alle drei Katzen zur Begrüßung. »Na, ihr Süßen«, krächzte Berenike, als wären die Worte rostiges Blech und ihre Kehle ungeschmiert.
Jonas öffnete die Balkontür, trat hinaus. Die Frühlingssonne schien auf die Möbel im Wohnzimmer, wärmte die Luft, die Wolken waren weitergezogen. Trotzdem fror Berenike. Sie zog sich etwas Wärmeres an und fütterte die Katzen. Während sich drei Katzenköpfe über drei Futterschüsseln senkten, herrschte andächtige Stille, nur unterbrochen von Miss Marples Schmatzen.
Berenike betrachtete die mageren Vorräte. Die Katzen waren zufriedengestellt, was sollten Jonas und sie selbst essen? Sie hätten ins Gasthaus gehen können – sollen –, zu Max zum Beispiel. Doch daran hatte keiner gedacht. Im Eiskasten nur ein wenig Käse und Butter. Dazu Semmeln vom Vortag. Nicht berauschend. Tiefkühlpizza? Nicht gerade das, wonach ihr der Sinn stand. Seit Hans nicht mehr für sie arbeitete, dachte keiner daran, ihr Vorräte für daheim mitzugeben.
Zurück im Wohnzimmer, kam Jonas von draußen herein, in der Hand sein Smartphone. Musste er sich noch am Vorabend neu besorgt haben, nachdem das alte
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