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Goettinnensturz

Goettinnensturz

Titel: Goettinnensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Buerkl Anni
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verloren gegangen war.
    »Pizza?«, fragte sie.
    Erst jetzt steckte er das Handy in die Brusttasche seines Hemds und blickte auf. »Tut mir leid, Berenike, ich muss weg. Dienstlich. Und wenn es sich ausgeht, fahre ich nachher zu meinem Hausarzt.«
    Er zupfte an seinem Verband. Zog sich die Schuhe an und küsste sie auf die Wange, hastig, wie im Vorbeiflug.
    Und weg war er.
    *
    Er war weg. Zum ersten Mal seit langer, seit sehr langer Zeit, hatte Berenike keine Ahnung, wohin, warum, mit wem – oder wie lange. Die Stille kam ihr bleiern vor.
    Zum Trotz etwas wie Normalität. Eine Buttersemmel essen, Teetrinken. Lavendelblüten und Johannakraut, die Wärme tat wohl, ruhiger wurde sie davon allerdings nicht. Der Kiefer schmerzte direkt, weil sie die Zähne so sehr zusammenbiss. Immer wieder dieses Bild im Kopf von der Kapelle, dem Felsen dahinter. Und das Bild von Monikas Leiche, das sich davorschob. Und wie Franziska auf der Brücke gestanden war, bei der Bergung zugesehen hatte. Berenike meinte, die Kirchenglocken wieder zu hören, den Knoblauch zu riechen. Den Pfarrer zu sehen, wie er in seiner dunklen Soutane die Kirchentür versperrte. Man lebte hier kleinräumig, traf immer dieselben Leute, bewegte sich in einem engen, abgegrenzten Raum. Aussee, Bad Ischl, Liezen.
    Und trotzdem: War es wirklich Zufall, dass sie erneut auf Franziska getroffen war?
    Berenikes Gedanken wanderten zu Bernds geschundenem Körper an der Mühle in Bad Aussee, sie forschte in ihrem Kopf nach, ob sie Franziska dort ebenfalls gesehen hatte. Versuchte, sich die Menge der Schaulustigen zu vergegenwärtigen – sie wusste es nicht oder nicht mehr. Konnte sich einfach nicht daran erinnern. Zu viel, zu viele Bilder, alles verschwamm vor ihrem inneren Auge.
    Sie seufzte und räumte das schmutzige Geschirr ab. Miss Marple verfolgte jeden ihrer Schritte, blickte sie fordernd an, bis sie ihr Trockenfutter in das Schüsserl füllte. Die Kater rollten sich am Fenster ein.
    Und dann bald ins Bett. Berenike griff nach einem Buch auf dem Nachtkästchen, es handelte vom Teeanbau in Indien, wie die Briten diesen seinerzeit forciert hatten. Der Dachboden des alten Hauses knackte im Frühjahrssturm, während Dr. Watsons typisches lang gezogenes Miauen vom Balkon in die Nacht drang. Er vermisste Jonas genau wie sie. Verständlich, der hatte den Kater im vorigen Winter aufgepäppelt.
    Miss Marple eroberte sich nun den Platz neben Berenikes Kopfpolster und war von dort nicht wegzubringen. Ganz nahe schmiegte sie ihr Köpfchen an Berenikes Wange, der grau-weiße Körper lag niedlich eingerollt da. Im Halbdunkel war auf den ersten Blick nicht recht zu unterscheiden, wo Kopf und wo Hinterteil des Tiers waren. Eigentlich süß, wären da nicht die scharfen Krallen gewesen, die die Kleine mitunter ausfuhr. Miss Marple war eine aufmerksame Jägerin, sie fing alles, was sich bewegte, krallte sich ab und an Berenikes Finger, wenn sie nicht aufpasste.
    Bald fiel Berenike in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte von dunklen Schluchten, in denen sie Stimmen hörte, doch nie jemanden antraf.
    Am nächsten Tag ging sie zeitig in ihren Salon. Zu hause Frühstück machen lohnte nicht, wenn Jonas nicht da war.
    »Heute ganz allein?«, fragte Lieselotte.
    »Ja.« Berenike zwang sich zu einem harmlosen Lächeln, ohne auf das Thema einzugehen. »Dafür bin ich heute hungrig für zwei.«
    »Na dann, frisches Gebäck ist schon da! Eben hat Helena geliefert.«
    Während Berenike in einen roten Sari schlüpfte – sie wollte doch nach dem ersten Mordfall damals nie wieder einen roten Sari! – schob sich vor ihr inneres Auge das Bild von Jonas, wie er mit Franziska gesprochen hatte. Und wie er gegangen war, fast ohne Worte. Vielleicht hatte er sich mit ihr wegen der Ermittlungen getroffen, wie sie es angeboten hatte. Wenn es nur das wäre. Es fühlte sich nicht danach an. Und dass er dermaßen kurz angebunden gewesen war, machte sie traurig. Dass er so wenig über den Fall reden wollte, war selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich. Früher, als sie ihn noch nicht gut gekannt hatte, hatte sie seine Geheimniskrämerei nicht verstanden, sie hatten sogar Streit deswegen gehabt. Weil sie sich nicht ernst genommen gefühlt hatte. Er wollte sie schützen, möglichst wenig Täterwissen preisgeben, alles andere würde den Ermittlungen schaden – und wenn sie Pech hatte, ihr selbst. Tödlich schaden sogar. Mittlerweile sprach er ein bisschen mehr darüber –

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