Goettinnensturz
Berenike sah sich um, ob Jonas ebenfalls gekommen war – aber nein. Ariane folgte Franziska. Was machte die denn hier? Die Journalistin war nun entgegen ihrer Pläne doch in der Gegend geblieben, was man hörte. Stefan stand etwas abseits. Irrte sich Berenike oder schaute er tatsächlich sauer drein? Das konnte doch nicht wahr sein! Wo seine Liebste endlich Erfolg hatte … Lange hatte das gedauert, Berenike hatte ihre Selbstzweifel mitbekommen und wie sie mit anderen Genres experimentiert hatte.
»Es war klug von dir, dass du auf den Rat dieses Verlegers eingegangen bist und was Neues geschrieben hast. Ein übersinnlicher Liebesroman ist mal was anderes!«, lobte Alma und sah dabei drein wie eine Lehrerin, die sich freute, dass ein miserabler Schüler entgegen aller Erwartungen nicht durchfiel.
Sylvie kicherte. »Wer hätte gedacht, dass ich meinen ersten Verlagsvertrag ausgerechnet mit Chick lit bekomme – wo ich selbst nie solche Geschichten lese.«
Alma lachte perlend. »Umso toller, wie sehr du das Genre bereicherst mit deinen Ideen, Sylvie!«
Sylvie beugte sich kichernd zu Alma. »Ich glaube auch, dass mir der Roman gelungen ist. Und weißt du was? Ich brauchte gar nicht erst was zu erfinden.«
»Stimmt, etwas kam mir an bei deiner Geschichte bekannt vor … Als dieser Adrian Stern auftritt.« Alma hatte ihre Stimme gesenkt.
»Du hast es erfasst«, flüsterte Sylvie.
Adrian Stern? Berenike versuchte, sich zu erinnern. Der Name brachte etwas zum Klingeln bei ihr. Die Frauen meinten wohl einen Herrn namens Andreas Sonnenstern, der letztes Jahr bei ›Pessoas Erben‹ aufgetaucht war. Ein spindeldürrer Mann mit einer ergrauten Indianer-Frisur, der extra den weiten Weg aus Linz zu ihnen unternommen hatte. Mitgebracht hatte er ein astrologisches Gutachten, das, wie er berichtete, ihn genau hierher geführt habe, in diesen Ort, zu diesen Menschen. Autor war er nicht, nein. Er wollte eine neue Partnerin finden. Eine, die dem Übersinnlichen zugeneigt war. So weit, so gut, ›Pessoas Erben‹ schrieben über esoterische Themen. Doch sie waren Autoren – und er nicht. Die meisten hatten ihn belächelt, nicht direkt ausgelacht, keiner hatte ihn der Tür verwiesen. Nur Sepp hatte Kritik geäußert. Sonnenstern war nie mehr im Ausseerland aufgetaucht, hatte dafür später einen bitterbösen Artikel im Internet veröffentlicht – über Menschen, die andere bei ihrer Liebessuche herabwürdigten …
Weitere Gäste drängten herein, darunter Ragnhild, die in Norwegen geboren worden war und hierher geheiratet hatte, aber mittlerweile geschieden war. Mit ihr war Berenike in ihrer ersten Zeit im Ausseerland eng befreundet gewesen. Helena, die Lieferantin ihrer Lieblingsbäckerei, stand gleich darauf in der Tür.
»Meine lieben Freundinnen und Freunde«, begann Sylvie endlich, »ich freue mich sehr, dass ihr so zahlreich gekommen seid, um mit mir zu feiern.« Ein ziemlich junger, ziemlich klein gewachsener Mann neben ihr lächelte verbindlich – anscheinend der Verleger.
»Und weil ich mich so freue«, fuhr Sylvie fort, »werde ich gleich mit einem Highlight aufwarten. Ich habe etwas Besonderes für euch vorbereitet, also über die Lesung aus meinem Buch hinaus.« Ein paar Leute kicherten. »Ihr kennt mich«, fuhr Sylvie leiser fort, »ich betätige mich auch als Medium.« Ihre Stimme wurde noch etwas leiser. »Ich werde heute Abend den Geist der Ermordeten hinzurufen.«
Einige »Ahs« und »Ohs« waren aus dem Publikum zu vernehmen. Berenike stützte sich auf einem Barhocker ab, den sie neben den Ausgang postiert hatte. Von hier aus würde sie eingreifen können, sollte Unruhe ausbrechen oder etwas Unvorhergesehenes geschehen oder einfach nur mehr Licht benötigt werden.
Vielleicht war die Idee, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, gar nicht schlecht. Vor ihrem inneren Auge tauchten ihre Großeltern mütterlicherseits auf. Die Großmutter mit dem harten Blick, der Großvater, wie er immer jovial für sie gesorgt hatte. Und die Familie ihres jüdischen Vaters, die Stein-Seite, die sie nie kennengelernt hatte. Weil sie tot waren. Ermordet. In der Nazi-Zeit. Und keiner wusste, wo. Nicht einmal ihr Vater. Der war ganz klein gewesen und hatte in einem Versteck überlebt. Ja, da war etwas, um das sich Berenike kümmern, dem sie sich zuwenden musste … in ihrem Leben.
»Gemeinsam mit euch und eurer spirituellen Ausstrahlung kann es gelingen, meine Lieben«, raunte Sylvie geheimnisvoll. Als sie sich
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