Goettinnensturz
Blitzlicht auf. Irgendwie musste sich herum gesprochen haben, dass sie die Nachricht von der neuen Leiche als Erste erfahren hatte.
»Das Foto werden Sie vernichten, haben Sie mich verstanden?« Berenike sagte es leise und sah den Burschen mit den leicht fettigen Haaren lange an, bis dieser den Blick senkte. Na also, ging ja.
Sie kämpfte sich den Weg frei Richtung Theke. Alle Tische waren besetzt, eigentlich mehr als das. Selbst um die Bar drängten sich die Gäste.
Es roch nach Schweiß und muffigen Klamotten und nach noch etwas Undefinierbarem, Süßlichem. Der Geruch erinnerte Berenike an etwas. Hinter den vielen Köpfen und Hindernissen erkannte sie den aufgetürmten braunen Haarschopf von Lieselotte, eine große rote Masche obendrauf. Ihr rettendes Ufer.
»Da bist du endlich!«, rief die Kellnerin. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!«
»Jetzt bin ich ja da. Wir werden das gemeinsam schaffen. Alles eine Frage der Zeit.« Berenike sah sich um. »Also, wer hat noch nichts bestellt?«
»Ich«, meldete sich einer der Fischer, »ich hätt’ gern einen Earl Grey, aber lass dir nur Zeit.«
»Wir können warten, Berenike«, lächelte ein anderer.
Berenike spürte, wie trotz des Trubels etwas von der Spannung von ihr abfiel. Das hier war ihr Zuhause, hier gehörte sie hin. Mit einer Intensität, die sie selbst überraschte, war sie dankbar für all das, was hier entstanden war, für all die Menschen, die nun zu ihrem Leben gehörten.
»Du hast also wieder was erlebt, wie man hört«, sagte Lieselotte.
»Kann man sagen. Man hat mich telefonisch von einer neuen Leiche informiert.«
»Oh nein, wie grässlich.« Die Kellnerin deutete auf einen Riesenstapel Kartons. »Das ist übrigens gerade geliefert worden.«
Berenike griff nach einer Schachtel. ›Oster-Freuden‹ stand darauf gedruckt. Inhalt: Schwarzer Tee, Sonnenblumenblüten und Eierlikör-Aroma. Eierlikör! Berenike schlug sich vor die Stirn. »Na klar, daher der Geruch. Darauf hätte ich von selbst kommen können.«
Lieselotte grinste. »Müssen wir nachher probieren«, sagte sie etwas entspannter und nahm Kuchen aus der Vitrine. »Ist ein wenig umfangreich ausgefallen, deine Bestellung.«
»Das verkaufen wir locker. Alle wollen gern Kleinigkeiten verschenken, selbst zu Ostern. Wo sind übrigens die Geschenkkörbchen?«
»Hinten im Büro.«
»Okay. Soll ich Susi holen, damit sie hilft? Den Mittagstisch muss auch irgendwer kochen.«
»Wäre gut.«
»Okay, dann bis gleich, ich bin im Büro.«
Eine Weile später hatte sie Susi telefonisch um Hilfe gebeten. Danach bereitete Berenike eine Frühlingssuppe aus wilden Kräutern vor. Alles Grüne durfte diesem Gericht beigefügt werden. Schöner Gedanke, dass es in alter Zeit zu Ehren Freyas, der Göttin der Fruchtbarkeit, gegessen worden war. Heute war die Speise fast in Vergessenheit geraten, vielleicht weil sie als Armeleuteessen an harte Kriegszeiten erinnerte. Ging Berenike Kräuter sammeln, war sie fast immer die Einzige weit und breit, die das tat. Apropos – sie musste bald einmal nach Bärlauch Ausschau halten gehen. Dann könnte sie endlich Pesto machen. Diesmal gab sie in ihre Suppe neben den Erdäpfeln Brennnesseln, Gundelrebe und Sauerampfer und verfeinerte mit Sauerrahm und etwas Petersilie.
Als sie zurück in den Gastraum kam, hatte sich das Chaos an der Theke wundersamerweise gelichtet, die Gäste saßen zufrieden vor ihren Getränken, Susi und Lieselotte sortierten gemeinsam Osterschmuck.
»Wir werden die grünen Tischdecken nehmen«, entschied Berenike. »Die passen zur Jahreszeit. Und darauf kommen die kleinen Körbchen mit den Häschen und den Küken.« Kitsch as Kitsch can, die Touristen erwarteten so was. Zumindest achtete Berenike darauf, dass alles immer adrett und elegant aussah, niemals verstaubt. Ein Crossover eben.
»Berenike, hallo!« tönte es mit voller Bassstimme hinter ihr. »Du hast was Interessantes erlebt?«
»Oh, servus, Paul! Wie geht’s?« Immer schön freundlich bleiben.
»Danke. Hab gerade eine Besprechung wegen unserem Narzissenfest gehabt. Die Zeit vergeht und flugs wird es so weit sein.« Er kratzte sich am Kopf. »Wenn sich bis dahin nur alle Probleme in Wohlgefallen auflösen.«
»Gut, dass du davon anfängst. Ich …« Jetzt nur taktisch klug vorgehen. »Ich könnte vielleicht etwas beisteuern zum Fest.«
»Du?«, fragte Paul skeptisch. »Ich dachte, du bist dagegen?«
»Wegen der Demo, meinst? Geh. Das Fest an sich finde ich
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