Goettinnensturz
Salon. Alle Augen richteten sich auf Franziska, auf ihre Kehrseite.
»Ich hab dir einige Entwürfe zum Anschauen mitgebracht. Wir haben ja neulich darüber geredet.« Mit einem Lächeln, das wirkte, als wäre es einstudiert, wandte sich Franziska an Berenike. Sie hob vorsichtig ihren Dirndlrock an. Alles im Raum schien den Atem anzuhalten, bis sich Franziska auf einen Barhocker gesetzt hatte.
Franz, einer der Fischer, lehnte sich neben Franziska über die Theke. »Bringst mir noch«, fing er mit rauer Stimme an und stockte, sah Franziska an, hüstelte. »Entschuldige, Berenike, einen Lindenblütentee. Ist immer noch kalt.«
»Ja, gell. Dein Tee kommt gleich, Franz.«
»Schon gut, ich hab Zeit«, antwortete Franz. Franziska lächelte ihm zu, drehte sich zu Berenike.
»Franziska, dann könntest du mir doch ein Dirndl nähen, oder?«
»Gerne, Berenike. Das freut mich sehr. Du möchtest sicher was Originelles, oder?«
Berenike stellte Wasser zu und räumte einige Tassen in den Geschirrspüler. »Ich brauche etwas, das in Richtung Tracht geht, für offizielle Anlässe, weißt du. Aber es müsste Pepp haben.« Sie nahm eine weiße Kanne und ließ im Abwaschbecken heißes Wasser darüberrinnen. An Teekannen ließ sie kein Spülmittel, das den Geschmack des Tees trüben konnte.
»Da bist du bei mir genau an der richtigen Stelle«, lächelte Franziska.
Während das heiße Wasser in und über die Kanne rann, sah Berenike ihr Gegenüber prüfend an. Sie erinnerte sich an die Trachtengewänder der vier Ermordeten– klassische Kleidung, bis auf den letzten Toten. Und Franziskas Ablehnung gegenüber allem Traditionellen.
Sie musste selbst auch etwas trinken, ihr Hals war trocken. Kamillentee vielleicht. Zuerst die Gäste. Lindenblüte für Franz. Sie goss auf, servierte.
»Bitte sehr, wohl bekomm’s! – Was kann ich dir anbieten, Franziska?«
»Empfiehl mir was, bitte. Du bist die Spezialistin.« Franziska lächelte immer weiter. »Ich bin keine große Teekennerin.«
»Lieber grünen Tee oder schwarzen? Oder vielleicht Kräuter?«
»Bloß nicht, mit Hagebutten hat mich schon meine Oma geplagt. Ihr einziger Fehler zum Glück.« Ein klingendes, fast klirrendes Lachen, sodass Franziskas Brüste hüpften. Gänsehaut kroch Berenikes Nacken hoch. Der Leichenfund, sicherlich. Und diese Gedanken … ob Franziska dahintersteckte. Ob sie schuld dran hatte. Gut, dass das Lokal voll war.
»Dann vielleicht einen der Ostertees? Da gäbe es zum Beispiel grünen Tee mit Sonnenblumenblüten und ein wenig Eierlikör-Aroma.«
»Klingt interessant.«
»Dann mach ich dir eine Kanne. Und keine Angst, der Eierlikör ist völlig harmlos und alkoholfrei.« Zum wiederholten Mal deutete Berenike auf das Schild an der Wand. »Strictly tea is served!«, sagte sie.
Franziska lächelte, nunmehr milde. Berenike hantierte mit dem Teegeschirr, wählte eine hellgrüne Kanne mit einer ebensolchen Tasse, die beide wie das Frühlingsgras leuchteten. Oder der Bärlauch im Wald …
Nicht dran denken.
Sie maß Teeblätter ab und gab sie in das Filter, goss Wasser auf. Der süße Duft nach Eierlikör mischte sich mit dem herben Geruch des Grüntees. Berenike stellte die Teeuhr und schob Franziska das Tablett über die Theke zu.
»Danke.« Franziska kramte in ihrer Tasche, legte ein Ringbuch auf den Tisch, blätterte die Seiten auf. Verschiedene Mode-Zeichnungen kamen zum Vorschein. »Hier wären ein paar Ideen. Was hast du dir vorgestellt?«
»Wenn ich das wüsste. Zu gewagt soll es nicht sein, aber auch nicht langweilig.«
»Das hab ich mir gedacht. Ich habe dir Entwürfe mitgebracht, Spielereien, schau mal.« Sie blätterte um, zeigte auf die Zeichnung. »Das hier würde dir gut passen.« Franziska zögerte einen Moment und sah zu Berenike auf. »Nike. Darf ich Nike sagen?«
»Ja, natürlich.« Niemand außer Jonas nannte sie so. Aber das war jetzt egal.
»Vielleicht möchtest du einen mit astrologischen Symbolen bedruckten Stoff? Schau, hier habe ich ein Modell mit Sonne, Mond und Sternen.«
»Lass mich sehen.« Berenike ging außen um die Theke herum und beugte sich über das Papier.
Franziska rückte näher. »Ich hab Stoffmuster mitgebracht, hier. Zum Beispiel dieser blaue Stoff. Er würde«, Franziskas Stimme wurde leiser, dunkler. »Er würde perfekt zu deinen schwarzen Haaren passen … Nike.« Die letzten Worte waren nur gehaucht. Franziska rückte noch ein Stück näher, berührte wie zufällig mit dem Arm Berenikes Busen. Es
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