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Goettinnensturz

Goettinnensturz

Titel: Goettinnensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Buerkl Anni
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älteren Leute an die Armut nach dem Krieg erinnert, als es wenig zu essen gab außer wilden Kräutern. Und mit etwas Glück den einen oder anderen gewilderten Rehbock, da hatten die Leute hier ein wenig bessere Chancen als die in der Stadt.
    Berenikes Finger riechen nach Knoblauch, je länger sie bei der Arbeit ist. Der grüne Saft klebt unter den Fingernägeln. Sie freut sich schon auf das Bärlauch-Öl, das sie machen wird, auf das Pesto sowieso. Das schmeckt gut zu Nudeln oder Erdäpfeln.
    Berenike steht auf, rückt ein Stück nach links. Niemals an einer Stelle alles leerpflücken, sonst wächst später nichts mehr nach. So hat sie es gelernt, so hält sie es bis heute. Sie murmelt einen Dank an die Erdmutter, die ihren Kindern all dies im Überfluss spendiert.
    Mühsam richtet sich Berenike auf, das Kreuz zickt boshaft. Ihr schwindelt. Sie wird wirklich alt! Der 40. Geburtstag ist nichts zum Feiern.
    Und dann kippt das Bild voller Grün mit einem brutalen Schlag. Wird grau, hart und grau wie ein Schleier. Etwas stimmt nicht. Etwas mischt sich in den Frühlingsduft, was da nicht hingehört. Aasgeruch. Tod statt neuem Leben. Die dunkle Aura. Ahnung von etwas – Grausamen. Berenike weiß, was sie finden wird. Hat es vorher geahnt, nicht wahrhaben wollen. Sie weiß es … weiß es, wie so oft.
    Sie weiß, es ist nicht der Knoblauch, den sie riecht. Nicht nur. Berenike schnuppert, geht dem Geruch nach. Vielleicht nur ein verendetes Tier, die Hoffnung, diese unscheinbare, hartnäckige Kreatur. Ein totes Tier … ein Kadaver … daneben muss man nicht gerade Kräuter ernten.
    Da. Im Grün blitzt etwas auf. Was nicht dazu passt. Zum Wald, zur Wiese, zum Bärlauchfeld. Schräg rosa, künstlich, glitzernd. Berenike spürt ihr eigenes Stirnrunzeln. Die Bärlauchblätter wuchern hier ziemlich groß und hoch. Aber nicht groß genug, um zu verdecken, was in einer Senke liegt. Vielleicht stammt die Mulde von den Wurzeln eines gefällten Baums. Ein toter Menschenkörper. Männerkörper. Der Bartwuchs. Den kann Berenike erkennen. Seltsam, denkt es in einem Teil ihres Hirns, wie man selbst in einer Situation wie dieser Details wahrnimmt.
    Berenike meint ein Kichern zu hören. Mädchenhaftes Kichern. Fährt herum, dreht sich im Kreis. Totentanz, die Arme ausgebreitet? Noch immer ist sie allein, kein anderer da im Wald. Nur ein Vogel sieht ihr von einem Ast darüber aus zu, stumm. Alles ist stumm, so stumm. Nicht einmal den Fluss hört man hier, der ist weit weg, sie hat ihn überquert, hinter sich gelassen, nicht darauf geachtet.
    Komisch, da ist keine Angst. Viele Menschen, die meisten sogar, würden sich gruseln, davonrennen, keuchen. Aber von einem Toten geht keine Bedrohung aus. Er kann ihr nichts mehr tun, der Mann in der Wiese, in seinem Steirerjanker und der glitzernden Hose. Er kann sie nicht angreifen, nicht töten, keinen Arm nach ihr ausstrecken, kann ihr nichts mehr tun, er nicht. Nur wenn der Mörder noch in der Nähe ist … Berenike stockt der Atem. Sieht sich um. Der wird doch geflüchtet sein – oder?
    Sie steht und starrt in die grüne Stille. Sie weiß nicht, wie lange. Mit müden, eckigen Bewegungen tastet sie schließlich nach ihrem Handy. Sie drückt mit ihren knoblauchstinkenden Fingerspitzen die Tasten, wählt den Polizei-Notruf. Stottert was von einer Leiche und bekommt sogar die Ortsangabe einigermaßen korrekt hin, sofern sie die Entfernung vom Bahnhof Bad Aussee eben einschätzen kann.
    Nachdem sie aufgelegt hat, gibt sie dem Korb mit dem gesammelten Bärlauch einen Tritt. Ein ansatzweise mit Tod in Berührung gekommenes Kraut will sie – selbst ohne die Existenz von Leichengift – nicht in der Küche haben.
    Die Zeit vergeht. Berenike greift nach der Wasserflasche, nimmt einen Schluck. Starrt die Leiche an. Vorsichtig tritt sie einen Schritt näher. Was für ein schrilles Rosa im Grün, wie sich die Farben schlagen. Ein schwarzer Knebel, riesig, ragt aus seinem Mund – womöglich ist der Mann erstickt. Vielleicht ist es sein Steirerhut. Ein gewalkter Hut, wie ihn viele Männer zum grau-grünen Steireranzug tragen, mitunter zur Jeans. Der Tote trägt nur einen Steirerjanker, dazu eine absurd glitzernde Hose. Wie seltsam das aussieht. Und wo ist das grüne Hutband? Für die Fesseln verwendet, aha. Grüne Fesseln an Händen und Beinen. Schaudern in Berenike bei jeder neuen Erkenntnis über den Toten, über die Gewalt, die über ihn gekommen sein muss wie eine böse

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