Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
hatte. Das war zu beschämend, um auch nur daran zu denken.
Tantalus hatte Kreon endlich die Wahrheit gestanden und zum ersten Mal seit mehr als siebzehn Jahren hatte er die Stimme seines Vaters gehört. Es war ihm allerdings nicht erlaubt worden, sich im selben Raum aufzuhalten oder das Gesicht des Vaters zu sehen, weil diese Frau ihn so entstellt hatte, dass er es nicht ertragen würde, ihn anzusehen. Aber wenigstens hatte Kreon nach dieser langen Zeit mit ihm sprechen dürfen und von der schrecklichen Last erfahren, die er trug.
Sein Vater hatte ihn dafür gelobt, dass er all die Jahre so stark und treu gewesen war. Dann hatte er seinem Sohn berichtet, was in diesem Ruderboot wirklich geschehen war, wie seine Gedanken und sein Wille so grausam verdreht worden waren, dass er eine Sünde beging, die ihn für immer gezeichnet hatte – gezeichnet wie die Medusa. Tantalus gab seinen Fehler zu, bedauerte ihn zutiefst und versicherte seinem Sohn, dass er seit jenem Tag versuchte, ihn wiedergutzumachen. Er hatte sich geschworen, das weibliche Böse des Cestus zu vernichten, damit alle Männer, Scions ebenso wie Normalsterbliche, endlich ihre Lust beherrschen konnten. Diese heilige Mission hatte er nun seinem Sohn anvertraut.
Und Kreon hatte versagt.
Er spürte, wie sein Handy zum fünften Mal in seiner Tasche vibrierte. Bisher hatte er es ignoriert und wollte gar nicht wissen, wer ihn zu erreichen versuchte, aber jetzt gab er doch nach undwarf einen Blick auf das Display. Es war seine Mutter. Nach kurzem Überlegen nahm er das Gespräch an.
»Wo bist du?«, fragte Mildred mit gedämpfter Stimme.
»Auf der Jagd«, antwortete Kreon vage, denn er spürte, dass seine Mutter beobachtet und vielleicht auch belauscht wurde. Es wäre nicht das erste Mal.
»Eine der Verräterinnen hat mich gerade angerufen«, wisperte sie eindringlich. »Sie hat mir von deinem Versagen vor dem Hotel erzählt und will die Seiten wechseln. Sie will ihre Männer vom Cestus befreien …«
Kreon hörte ein Rascheln, als hätte seine Mutter das Handy in die Tasche oder unter den Pullover gesteckt. Ein paar Sekunden lang hörte Kreon nichts außer dem monotonen Rascheln, während seine Mutter sich einen sicheren Ort zum Telefonieren suchte.
»Bist du noch da?«, fragte sie schließlich.
»Ja. Mutter, was ist los?«
»Psst. Hör nur zu. Die Hundert beginnen, an dir zu zweifeln. Sie dürfen nicht erfahren, dass wir Kontakt zueinander haben«, flüsterte sie eindringlich. »Wo bist du? Sie will sich sofort mit dir treffen, um einen Plan zu schmieden.«
Helen verbrachte eine Viertelstunde am Telefon und versuchte, ihren Vater zu beruhigen. Er hatte gerade zur Polizei gehen wollen und bestand darauf zu erfahren, wo sie die ganze Nacht gesteckt hatte. Sie konnte es ihm unmöglich sagen. Jerry war so wütend auf sie wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er befahl ihr, sofort nach Hause zu kommen. Er brüllte sie sogar an, waser zuletzt getan hatte, als sie noch klein gewesen war. Helen war es nicht gewöhnt, ihrem Vater zu widersprechen, aber sie versicherte ihm trotzdem, dass ihr nichts fehlte und sie vorerst nicht heimkommen würde. Dann legte sie auf.
Sie wusste, wie unfair sie zu ihm war, aber sie hatte keine Ahnung, was sie sonst tun sollte. Sollte sie ihrem Vater sagen, dass Daphne wieder da war und dass sie bei ihr leben würde – oder war es gnädiger, wenn sie einfach verschwand? Daphne beteuerte, dass eine saubere Trennung für alle das Beste war, auch für Jerry, aber Helen hatte ein Problem damit. Natürlich wäre es so am sichersten für ihn, aber seelisch würde es ihn zerreißen. Helen ging beide Möglichkeiten im Kopf durch. Keine von beiden fühlte sich richtig an. Wie sie es auch machte, ihr Vater, der es am wenigsten verdiente, würde am meisten leiden. Ihre trübsinnigen Gedanken endeten abrupt, als Noel auftauchte, um ihr zu sagen, dass Claire und Jason wach waren.
Helen ging nach oben. Daphne saß neben Claire auf der Bettkante, hielt ihre Hand und sah sie liebevoll an. Am Abend zuvor hatte Daphne Helen erzählt, dass sie Claire schon als Baby geliebt und sich immer Sorgen um sie gemacht hatte, weil sie mit einem Scion aufwachsen musste. Während des Sturms hatte Daphne im Hotelzimmer den Fluch von Helen genommen und ihr auch berichtet, dass sie Claire als Auslöser der Krämpfe ausgenommen hatte, für den Fall, dass Claire irgendwann einmal Helens Schutz brauchte, auch wenn das die Gefahr erhöht hatte, dass Helen
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