Göttlich verdammt - Angelini, J: Göttlich verdammt
jemand sein, den sie so abgrundtief hasste?
Helen musste sich konzentrieren, um im Nebel etwas zu sehen. Im matten Licht der Morgendämmerung sah sie nicht, wo sie in die endlose Einfahrt abbiegen musste. Sie hielt an, stieg aus und ging zu Fuß in Richtung Ozean. Sie hatte das Anwesenbisher nur vom Strand aus gesehen und hoffte, von dort aus irgendetwas zu entdecken, das ihrer Erinnerung auf die Sprünge half. Plötzlich hörte sie hinter sich eine Art dumpfen Aufprall. Sie fuhr herum und musste feststellen, dass Lucas mit großen, energischen Schritten auf sie zukam.
»Was machst du hier?«, fuhr er sie halblaut an. Helen wich ein paar Schritte zurück, blieb dann aber doch stehen. Im grauen Morgenlicht sah sie, wie sich die weißen Körper der drei Schwestern schluchzend und bebend über die Dünen durch das dürre Gras schleppten.
»Woher wusstest du, dass ich hier bin? Hast du mich verfolgt?«, fragte sie empört.
»Ja, allerdings«, fauchte er und kam noch näher auf sie zu. »Was zum Teufel machst du auf dem Grundstück meiner Familie?«
Zu spät erkannte Helen, dass sie mit dem Betreten des Grundstücks eine Grenze überschritten hatte. Wo bisher nur Hass gewesen war, konnte Helen jetzt eine gewisse Gewaltbereitschaft in Lucas’ Gesicht lesen. Und auch sein Körper nahm auf einmal eine drohende Haltung ein. Er strahlte eine solche Härte aus, dass sie ihn kaum ansehen konnte. Gut , dachte sie. Bringen wir es hinter uns.
Helen senkte eine Schulter, stürmte auf ihn zu und rammte seine Brust so heftig, dass sie gemeinsam zu Boden gingen. Als sie sich aufrichtete, um ihm die Faust ins Gesicht zu schlagen, packte er ihre Arme. Sie lag jetzt auf ihm und hätte eigentlich die Oberhand haben müssen, aber sie hatte noch nie in ihrem Leben jemanden geschlagen und erkannte an seiner zielgerichteten Art, sich zu bewegen, dass er schon sein ganzes Leben lang kämpfte.Helen spürte, wie er sich ruckartig drehte und plötzlich auf ihr lag. Ihre Arme waren über ihrem Kopf wie festgenagelt, und ihre Fersen scharrten, ohne Halt zu finden, im Sand herum. Sie versuchte, ihn ins Gesicht zu beißen, aber er zog blitzschnell den Kopf weg.
»Lieg still oder ich töte dich«, fauchte Lucas sie an. Er keuchte, aber nicht, weil er außer Atem war, sondern weil er versuchte, sich unter Kontrolle zu behalten.
»Warum bist du hergekommen?«, fragte er sie.
Helen hörte auf zu zappeln und sah in sein wutverzerrtes Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen. Sie erkannte, dass er denselben Trick anwendete wie sie in der Gasse. Sie kniff ebenfalls die Augen zusammen und fühlte sich sofort ein wenig besser.
»Ich habe vor der Polizei gelogen. Ich habe denen nicht gesagt, dass du auch da warst«, stöhnte Helen, weil sein unglaubliches Gewicht ihr die Luft abschnürte. »Du zerquetschst mich!«
»Gut«, sagte er und verlagerte sein Gewicht, sodass sie wieder Luft bekam. »Hast du auch die Augen zu?«, fragte er. Es hörte sich eher neugierig als wütend an.
»Ja. Es hilft ein bisschen«, antwortete sie ruhig. »Du siehst sie auch, oder? Die drei Frauen?«
»Natürlich sehe ich sie«, antwortete er verblüfft.
»Wer sind sie?«
»Die Erinnyen . Die Furien. Du verstehst wirklich nicht …«, er verstummte, als eine Frauenstimme seinen Namen rief. »Verdammt. Die dürfen dich hier nicht finden oder du bist tot. Geh!«, befahl er und rannte davon.
Sofort, nachdem sie frei war, stürmte Helen los und sah sichnicht mehr um. Sie konnte beinahe fühlen, wie die drei Schwestern ihre klammen weißen Arme und blutigen Fingerspitzen ausstreckten, um ihren Nacken zu berühren. Panisch raste sie zu Kates Wagen, hechtete hinein und fuhr so schnell weg, wie sie nur konnte.
Nach ein paar Hundert Metern musste sie anhalten und erst einmal tief Luft holen. Dabei fiel ihr auf, dass ihre ganze Kleidung nach Lucas roch. Angewidert zog sie ihr Shirt aus und fuhr im BH nach Hause. Es würde sie schon niemand sehen, und wenn doch, würde er denken, dass sie vor Tagesanbruch schwimmen war. Zuerst hatte sie ihr Shirt auf den Beifahrersitz geworfen, aber sein Geruch waberte dennoch so intensiv zu ihr hoch, dass sie es aus dem Fenster warf.
Als sie zu Hause ankam, war sie total erledigt, aber sie konnte nicht ins Bett gehen, ohne vorher zu duschen. Sie musste Lucas von sich abwaschen, sonst würde sein Geruch sie bis in ihre Träume verfolgen. Außerdem war sie dreckig. An den Ellbogen und auf dem Rücken hatte sie Grasflecken und ihre Füße waren
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