Goettlicher Thor 1
Entzugserscheinungen oder auch nur die pure Angst, dass ich verrückt werden könnte.
„Was ist? Ich kann dir nur sagen, du brauchst eine Beziehung, guten Sex, nette Gespräche. Eine Basis eben.“ Ich kicherte frech in den Apparat.
„Mama! Könnte es sein, dass du das gerade brauchst? Ich weiß schon, du liebst Papa immer noch und er ist noch keine fünf Jahre von uns gegangen, aber die Sehnsucht, die du so klar aussprichst, ist zurzeit nicht meine. Ich habe eine Basis und die besteht derzeit halt auch ohne Sex. Eigentlich glaube ich sogar, dass mich nichts so erfüllen kann, wie mein neuer Weg. Spiritueller Heilung und so, du verstehst? Mama, vielleicht mache ich ja sogar eine schamanische Ausbildung, was meinst du?“ Was wusste ich, warum ich bei ihr manchmal das Bedürfnis hatte, noch ein Schäufelchen nachzulegen. Aber ich hatte das Bedürfnis sie aus der Reserve zu locken und zugleich auf meine Seite zu ziehen. Ich wünschte mir so sehr ihr Interesse, ihr Verständnis und ihr Vertrauen.
„Was? Hast du etwa einen Indianer zum Freund? Oder wirst du jetzt gar eine Hexe? Ich kann dir nur sagen, was sie mit dir im Mittelalter gemacht hätten ...“ Ich lachte schon wieder. Wie oft hatte sie mir das wohl schon gesagt?
„Lach nicht so! Auch heute gibt es noch genug Menschen, die dafür kein Verständnis haben und Pfarrer Bernd hat gesagt ...“
„Mama bitte! Mir ist so egal was der Mann sagt. Er vertritt einen Glauben, der die Ehe in seinem Berufsstand verbietet und trotzdem meint etwas über Partnerschaften erklären zu können. Außerdem hat er Kondome als Sünde bezeichnet. Verstehst du nicht? Pfarrer Bernd ist auf seine Weise schon nett, aber auch weltfremd. Er gibt dir nur das Gefühl, dass du eine brave Kirchengeherin bist, weil du jeden Sonntag bei ihm auftauchst und das ist ja auch okay, aber er hat keine Ahnung über wahre Spiritualität.“ Das Seufzen am anderen Ende zeigte mir, dass ich es wieder einmal übertrieben hatte. Meine Mutter liebte diesen kleinen, dicken Pfarrer.
„Ach, Siena! Diese Diskussionen sind müßig. Ich weiß du magst ihn nicht und er ist schon auch irgendwie schrullig. Aber er hat mir geholfen über den Tod deines Vaters hinwegzukommen.“
„Das weiß ich doch Mama und das rechne ich ihm hoch an. Ehrlich. Aber mit mir und meinem Leben hat das nicht viel zu tun. Sorry.“ Ich seufzte. „Aber egal! Wann sehen wir uns wieder? Können wir mal auf einen Kaffee gehen? Aber bitte ohne Kupplungsversuch.“ Die letzten Male hatte sie entweder ständig Hinweise auf Internetplattformen zur Partnervermittlung gegeben oder sogar potentielle Kandidaten direkt im Schlepptau gehabt ... mit fadenscheinigen Ausreden auf ihren Lippen. „Schau mal Kleines, mein Nachbar hatte gerade Zeit!“ oder „Stell dir vor, wen ich gerade zufällig getroffen habe.“ So etwas in der Art eben. Doch alle Kandidaten waren meist zu alt gewesen, eher konservativ und irgendwie verschroben. Gereizt hatte mich davon noch nie einer, maximal an meine Depression erinnert.
Es klingelte an meiner Tür.
„Du, Mama ich muss auflegen. Morgen um 16.00 Uhr? Übliches Café? Okay, bis dann. Tschüss!“ Das Klingeln wurde aufdringlicher und ich legte das Handy zur Seite. „Ja, ja! Ich komme ja schon.“ Als ich öffnete staunte ich nicht schlecht, weil es keine Verabredung gegeben hatte oder eine Vereinbarung, dass ich mich heute melden sollte.
„Francesko? Ja, wie ... ach, komm doch herein!“
„Tut mir leid, dass ich einfach so unangemeldet auftauche, aber du warst heute nicht trainieren und angerufen hast du auch nicht und da wollte ich fragen ...“
„Ja, klar. Schon in Ordnung. Ich wollte heute trainieren, musste dann aber so elend lange arbeiten, dass ich zu erledigt war. Sorry.“ Insgeheim ärgerte ich mich, dass ich vor lauter Arbeit etwas so Wichtiges wie Franceskos Seelenheil vergessen hatte. Immerhin hätte ich ihm sagen können, dass ich mit Roman in der Nacht ein gutes Gefühl gehabt hatte. „Und stimmt ... ich hätte mich telefonisch melden können. Hm. Ist denn etwas passiert? Hattest du wieder einen schlimmen Traum?“ Automatisch zog ich ihn weiter in meine Wohnung, verschloss die Haustüre und ging mit ihm zum Essbereich. Francesko blieb stumm, schlüpfte aber aus seiner Jacke und aus seinen Schuhen.
„Ein Glas Wein?“, fragte ich, weil ich nicht wusste, was mit ihm los war und davon ausging, dass er mit seiner Trauer noch nicht fertig wurde. Einen Freund zu verlieren, ging sicher an
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