Gohar der Bettler
Armreifen die weitläufigen Haschischfelder, die sich unter einem endlosen Himmel erstreckten. Die Vision war so eindringlich, so erdrückend, daß Gohar der Atem stockte. Er dachte daran, ein Verbrechen zu begehen, und es kam ihm ganz leicht vor. Ja, er würde dieses Mädchen umbringen müssen; er sah keine andere Möglichkeit, ihr die Armreifen zu entreißen. Diese Gewißheit erfüllte ihn mit einer erschreckenden Ruhe.
Das Gesicht der jungen Prostituierten verriet ihre Unruhe; sie lächelte nicht mehr. Zum ersten Mal blickte sie Gohar argwöhnisch an. Das Sichtbarwerden dieses Begehrens, das sie nicht verstand, begann ihr verdächtig zu werden. Aber ihre Furcht hielt nicht lange an. Mit bewußter Langsamkeit streifte sie ihren Morgenmantel bedächtig ab, warf ihn auf den Stuhl und bot sich vollkommen nackt dem verstörten Blick Gohars dar. Dann trat sie zu ihm heran, faßte ihn am Arm und wollte ihn zum Bett hinüberziehen.
»Komm. Los, beeil dich.«
Gohar riß sich jäh los; die Armreifen des Mädchens schlugen aneinander, wobei sie einen Höllenlärm machten, und Gohar fühlte, wie sein Herz zu schlagen aufhörte. Seine Gliedmaßen waren in kalten Schweiß gebadet, er zitterte. Plötzlich sprang er auf zog das Mädchen zum Bett und stürzte sich auf sie. Noch bevor sie losschreien konnte, hatten er sie schon bei der Kehle gepackt. In ihren weitaufgerissenen Augen spiegelte sich ihre ungeheure Überraschung wider; sie hatte noch nicht begriffen, was ihr widerfuhr. Gohar konnte ihren Blick nicht ertragen und drehte den Kopf weg. Mit seiner ganzen wankenden Kraft drückte er die Finger zusammen. Bei dem verzweifelten Versuch, sich zu befreien, streckte das Mädchen die Beine nach vorne. Gohar schloß die Augen. Eine lang anhaltende, düstere Stille breitete sich aus, in der Gohar seinen Griff unmerklich lockerte. Der Kopf des Mädchens fiel mit einem dumpfen Geräusch auf das Kopfkissen zurück; sie war tot.
Schwerfällig erhob er sich; er keuchte. Der nackte Körper Arnabas lag in einer lächerlichen und obszönen Stellung quer über dem Bett. Jetzt mußte er ihr noch die Armreifen abnehmen, was das Schlimmste an diesem wahnsinnigen Unternehmen war. Gohar hob den Arm des Mädchens hoch, griff einen der Armreifen und wollte ihn über das Handgelenk abstreifen. Im selben Augenblick traf es ihn wie ein Schock, mit einem Mal konnte er wieder klar denken, und er stieß einen kurzen, kaum hörbaren, röchelnden Schrei aus.
Ihm war gerade etwas Unglaubliches aufgefallen: Bei den goldenen Armreifen handelte es sich um ganz gewöhnlichen Modeschmuck. Sie waren niemals aus Gold gewesen, und Gohar hatte es von Anfang an gewußt. »Selbst einem Kind wäre es aufgefallen«, dachte er. »Wie konnte ich nur einen solchen Irrtum begehen?« Es blieb ihm unerklärlich. Diese Armreifen waren vielleicht ein paar Piaster wert, und um sie in seinen Besitz zu bringen hatte nicht davor zurückgeschreckt, einen Mord zu begehen.
Er war jetzt vollkommen ruhig. Der Schock über seinen Irrtum hatte ihn wieder völlig nüchtern werden lassen. Er ließ von der Leiche des Mädchens ab, hob seinen Tarbusch wieder auf, der auf das Bett gefallen war, steckte den Brief in die Tasche und ging zur Tür. Das Wartezimmer war immer noch dunkel und leer. Offenbar hatte in der Zwischenzeit niemand das Haus betreten. Gohar ging langsam die Treppe hinunter, trat unerschrocken in die Gasse hinaus, und als sei nichts geschehen, grüßte er aus reiner Neugierde einen ihm unbekannten Passanten.
Yeghen hatte er trotz allem nicht gefunden. Wo hielt er sich also versteckt? Diese Frage beschäftigte ihn lange.
Der spärliche Lichtkegel der Petroleumlampe reichte gerade einmal bis zum Rand der Tischplatte. Yeghen versuchte mit seinen kurzsichtigen Augen das Gesicht seiner Mutter zu erfassen, das im Schatten lag; nur ihre alten, vertrockneten Hände, mit denen sie gerade ein Herrenhemd stopfte, konnte er erkennen: zweifellos eine Arbeit für eine gutsituierte Familie aus der Stadt. Die Erbärmlichkeit dieser undankbaren Arbeit empörte ihn wie eine persönliche Beleidigung; um so mehr, weil sie seine Mutter traurig machte. Mit welcher Gemessenheit, welcher Ernsthaftigkeit sie doch ihre Bewegungen ausführte! Als würde es darum gehen, eine geheimnisvolle und bessere Welt zu erschaffen. Durch diese einfache Arbeit schien sie dem Mythos von einer ehrbaren Armut Glaubwürdigkeit verleihen zu wollen. Was für ein Schwindel!
Yeghen grinste hämisch. Was trieb ihn
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