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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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Obwohl Gewalt eigentlich das war, was seinem Denken am fernsten lag. Wie kam er nur darauf? Er hatte das Gefühl, nicht mehr er selbst zu sein, als sei ein anderer an seine Stelle getreten, um das Verbrechen zu begehen, das er später von ganzem Herzen verdammen würde. Es schien so, als würde ihn ein ungewöhnliches Geschick erbarmungslos aus seiner Bahn und in ein unsinniges menschliches Abenteuer stürzen wollen.
    »Vergiß nicht, ihm zu schreiben, daß ich ihm demnächst Geld schicken werde.«
    Gohar zuckte zusammen; während der Zeit, in der er nicht auf sie geachtet hatte, war das Mädchen unbemerkt zu ihm auf das Sofa gerutscht. Ihre plötzliche Anwesenheit in seiner unmittelbaren Nähe erschreckte ihn; er wurde von einer furchtbaren Angst ergriffen.
    »Welches Geld?« stieß er verdutzt aus.
    »Tu doch nicht so, als wüßtest du nicht, welches Geld!«
    »Doch ja, natürlich. Entschuldige bitte, ich bin etwas zerstreut.«
    Trotz der Macht ihres Fleisches hätte Arnaba nie geglaubt, daß ihre Reize einen Mann derart erregen könnten; ihre Eitelkeit verleitete sie dazu, ihre Überlegenheit noch weiter auszuspielen. Der Nachmittag versprach doch noch erfreulicher zu verlaufen als eine Droschkenfahrt mit Set Amina und den anderen Mädchen. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte sie es bedauert, nicht mitgefahren zu sein; jetzt hatte sie etwas Besseres gefunden. Sie rückte noch näher zu Gohar heran, lehnte ihren Kopf an seine Schulter, als würde sie den Brief entziffern wollen, und streichelte ihm gekonnt mit der Hand über das Knie. Da er an allen Gliedern zitterte, begriff sie, daß er am Ende seiner Kräfte war; daraufhin fing sie an zu lachen; ein nervöses und kindisches Lachen.
    »Du schreibst gut«, sagte sie. »Man merkt, daß du auf die Schule gegangen bist.«
    Ohne sie anzusehen, antwortete er:
    »Ja. Und du, bist du etwa nicht in die Schule gegangen?«
    »Warum hätte ich in die Schule gehen sollen?« fragte sie verächtlich. »Ich bin eine Hure. Wenn man einen hübschen Hintern hat, braucht man nicht schreiben zu können.«
    »Du hast recht«, sagte Gohar. »Ich habe noch nie etwas Richtigeres gehört.«
    »Immer machst du dich über mich lustig. Aber das macht nichts, ich finde dich sehr nett.«
    Die Gefahr wurde immer faßbarer, aber seltsamerweise gerade deshalb unwirklich, weil sie unmittelbar bevorstand. Gohar war wie benommen. Der Faszination durch die goldenen Armreifen ausgeliefert, reagierte er nicht mehr auf die Berührungen des Mädchens. Diese Armreifen hatten in seinen Augen einen immateriellen Wert bekommen; sie waren zum Sinnbild für die Droge geworden, der er seit dem Morgen hinterherjagte.
    Hastig beendete er den Brief.
    »Kannst du unterschreiben?«
    »Nein«, sagte das Mädchen. »Setze einfach meinen Namen drunter. Ich heiße Arnaba.«
    »Ich weiß«, sagte Gohar. »Ein hübscher Name.«
    Er unterschrieb den Brief, fragte das Mädchen nach der Adresse ihres Onkels und schrieb sie auf den Umschlag. Jetzt war er fertig; er würde gehen können, dieser morbiden Verführung entkommen.
    »Hier ist der Brief«, sagte er.
    »Ich danke dir. Behalte ihn, du könntest ihn für mich ein werfen. Ich gebe dir das Geld für die Briefmarke.«
    Zurückgehalten von ihm unbekannten, verderblichen Banden, wagte Gohar es noch nicht, sich zu bewegen. Sollte er das Klirren der Armreifen nochmals hören, würde er vor Angst sterben; die Furcht vor diesem unheilvollen Geräusch setzte seinen ganzen Körper unter Spannung. Einen Augenblick lang hegte er den Verdacht, das Mädchen mache absichtlich unbedachte Bewegungen mit den Armen. Hatte sie etwas bemerkt? Nein. Dann hätte sie bestimmt das ganze Viertel mit ihrem Geschrei auf sich aufmerksam gemacht; für ein solches Spiel war sie nicht stark genug.
    Arnaba stand als erste auf; sie ging ein paar Schritte im Zimmer auf und ab, fing zu lachen an, trat dann auf Gohar zu und sagte:
    »Du kannst mit mir schlafen, wenn du willst.«
    Er spürte, daß er ertrank, wie in dem Traum von heute morgen, und daß die tosenden Fluten des hochwasserführenden Flusses ihn in die Tiefe rissen. Verzweifelt versuchte er an der Oberfläche zu bleiben, wenigstens einen kleinen Rest seines klaren Verstandes zu retten. Vergebens. Nichts war übriggeblieben von seinem unermeßlichen Wunsch nach Ruhe und Frieden. Nur die wilde Lust, sich der Armreifen zu bemächtigen, widerstand dem Zusammenbruch seines Bewußtseins . In seiner Wahnvorstellung erblickte er jenseits dieser

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