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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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an diesem Abend dazu, das Gesicht seiner Mutter zu betrachten? Eine unsinnige und krankhafte Idee. Eine ganze Zeit schon versuchte er, jenseits des Alters und der Falten im Gesicht seiner Mutter eine Ähnlichkeit mit seinem eigenen Gesicht zu entdecken. Er öffnete seine Augen so weit wie möglich, suchte den Schatten hinter dem Lichtkegel über dem Tisch ab; nichts, das Gesicht seiner Mutter blieb unfaßbar. Er bemühte sein Gedächtnis, versuchte sich an ihre Gesichtszüge zu erinnern; es gelang ihm nicht, sich ein zuverlässiges Bild zu machen. Ein schwarzes Loch. Als hätte er sie während all der Jahre niemals angesehen. Diese totale Lücke in seinem Gedächtnis machte ihn wütend. Er wollte sie fragen, ob sie sich nicht ein wenig ins Licht Vorbeugen könne, hielt sich aber zurück. Er wollte sie nicht unnötig stören. Er ließ ihr gegenüber sogar eine für ihn ungewöhnliche Großzügigkeit walten: »Sie muß sehr schön gewesen sein. Ich ähnle wohl eher meinem Vater.« An seinen Vater konnte er sich ebenfalls nicht erinnern. Das war doch merkwürdig! Jetzt kam es ihm so vor, als hätte er diese Menschen, die ihn einst gezeugt hatten und mit denen er viele Jahre zusammengelebt hatte, niemals aus der Nähe gesehen.
    Aber warum sorgte er sich an diesem Abend auch so sehr um seine Häßlichkeit? Normalerweise betrachtete er sich nie im Spiegel. Aus Furcht, wie er sich eingestand. »Sollte ich mich etwa vor mir selbst fürchten?« Wieder grinste er hämisch. Diese Dreckskerle! Mit welcher Unnachsichtigkeit sie ihn immer noch in den Tageszeitungen und literarischen Zeitschriften der Hauptstadt verhöhnten. Er war zum Gespött des gesamten kultivierten Orients geworden. Diese niederträchtigen Journalisten ließen keine Gelegenheit aus, ihn in die Schußlinie zu nehmen; sie mußten eine Sonderprämie dafür erhalten, wenn sie in ihren boshaften Artikeln seine Häßlichkeit hervorhoben. Und erst dieser Bastard von einem Karikaturisten, der eine Zeichnung von ihm mit der Unterschrift: »Kondensierte Häßlichkeit« veröffentlicht hatte. Yeghen fand diese Angriffe äußerst schwach, sie entsprachen allenfalls dem Niveau kleiner Kinder. Glaubten diese Dummköpfe wirklich, ihn mit solchen Albernheiten aus der Fassung bringen zu können? Da kannten sie ihn aber schlecht; seine Häßlichkeit war vielmehr ein Geschenk der Natur.
    Das mochte zwar fast überall zur Geltung kommen, nicht aber vor einem Strafrichter. Das war der schwache Punkt. Er war einfach nicht zu verteidigen. Selbst seine armen Rechtsanwälte - amtlich bestellte Pflichtverteidiger - verloren das bißchen Würde, das sie besaßen, verstummten beinahe vor Ergriffenheit. Ohne ihn jemals anzusehen, stotterten sie irgendein Plädoyer daher. Was für eine Bande von Kastraten, diese Rechtsanwälte! Er verachtete sie mehr als alles andere. Mit Ausnahme eines einzigen jedoch, der ihm unvergeßlich blieb. Ihm - einem Mann von unvergleichlichem Mut, oder
    einfach nur einem Komiker - war es gelungen, von seinem Gesicht zu sprechen, als sei es das Gesicht des verkannten Genies selbst. Eine ganze Stunde lang. Der Richter hatte nicht gelacht; er schien nur beklommen, unfähig zu verstehen. Die Rede des Anwalts rief verblüfftes und ungläubiges Schweigen hervor. Der Richter traute seinen Ohren nicht; er blickte erstaunt um sich, als sei er soeben aus einem Traum erwacht. Schließlich kam er wieder zu sich und verkündete das Urteil.
    Die Strafe fiel diesmal härter aus als üblich: acht Monate. Aber Yeghen war glücklich; er hatte verteufelt viel Spaß gehabt.
    Für jemanden mit seiner Einstellung, der sich allen äußeren Gegebenheiten anzupassen vermochte, stellten diese Gefängnisaufenthalte keinesfalls etwas Unangenehmes dar. Nach den unaufhörlichen Anstrengungen seines nomadenhaften Lebens waren sie eher eine Art Erholung. Bei jeder Rückkehr ins Gefängnis nahm er dort seinen angestammten Posten als Buchhalter in der Gefängnisverwaltung ein. Diese Tätigkeit, auf die er ein stillschweigendes Vorrecht hatte, gewährte ihm eine gewisse Bewegungsfreiheit. Yeghen verhielt sich dort wie ein großer Verwaltungsfachmann. Auf höherer Ebene wußte man seine Fähigkeiten durchaus zu schätzen; er erhielt dafür Belobigungen. All das war zwar grotesk, aber Yeghen amüsierte sich dabei köstlich. Bei seinen Haftantritten brach jedesmal in dem verhaßten Gebäude, das dazu diente, die Insassen zu Tode zu langweilen, ein freudiges Durcheinander aus. Seine Späße, seine

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