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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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hätte sie gerade die Worte eines Wahnsinnigen gehört, dessen Spinnereien ihr schon seit langem vertraut waren. Mein Gott, was sollte sie tun! Sie seufzte und erhob sich. Zögernd, wie auf unsichtbare Krücken gestützt, tauchte sie in die Dunkelheit des Zimmers ein, wo ihr zusammengeschrumpfter Körper verschwand. Yeghen erahnte ihre Umrisse nur mit Mühe. Vor der schwarzen Masse der Anrichte blieb sie stehen, öffnete eine Schublade und kramte darin herum.
    Yeghen hielt den Atem an. Dieser Augenblick eignete sich zur Ausführung eines von langer Hand vorbereiteten Mordes; eines Mordes allerdings, der zum Lachen war. Wie lange würde sie noch dem Glauben verhaftet bleiben, ihn durch solche pathetischen, von hoher bürgerlicher Moral geprägten Szenen ändern zu können?
    Kurze Zeit später kam sie zurück und legte ein Geldstück auf den Tisch.
    »Nimm, saug mir das Blut aus!«
    Was für eine Tragödin! Wie schade, daß nicht die ganze Welt einer solchen Szene beiwohnen konnte. Ein wahrhaft erbauliches Schauspiel. Der mißratene Sohn, der seine alte Mutter bedrängt! Da wären viele Tränen vergossen worden. Yeghen lachte hämisch, nahm das Geldstück, steckte es in die Tasche und stand auf, um zu gehen.
    »Gehab dich wohl, Mutter!«
    »Bleib doch wenigstens noch zum Essen«, sagte sie. »Ich habe eine gute Suppe gekocht.«
    »Heute abend nicht, Mutter. Ich habe keinen Hunger. Ich verspreche dir aber, ein andermal wiederzukommen und dich in ein vornehmes Restaurant auszuführen. Und danach gehen wir in ein Kabarett. Würdest du nicht gern einmal in ein Kabarett gehen und den Bauchtänzerinnen Zusehen? Du wirst sehen, Mutter, das Leben ist schön.«

Er tauchte aus dem Souterrain auf wie ein Taucher vom schlammigen Grund und atmete freudig die Nachtluft ein. Endlich war er dieser Atmosphäre ehrbaren Niedergangs entronnen! Alles in diesem ekelerregenden Elendsquartier war fürchterlich verfälscht und völlig abgeschottet gegen die Freude. Mein Gott, warum nur! War die Freude etwa nur ein Privileg der Reichen? Das war der grundlegende Irrtum. Selbst im Gefängnis gab es Freude, das wußte Yeghen besser als jeder andere. Trotzdem wurde diese einfache Wahrheit in den Augen seiner Mutter zu einem Grund dafür, Argwohn zu hegen; sie erblickte darin nur Verworfenheit und Müßiggang. Sie mißtraute jeder Freude zutiefst, die sich in schwierigen Lebenslagen äußerte; stellte sie nicht eine Verhöhnung ihres Elends dar? Sicher verbarg sich hinter dieser Willfährigkeit gegenüber dem Unglück auch ein wirkliches Leiden, das Yeghen nicht zu leugnen suchte. Und er wäre dafür sogar empfänglich gewesen, wenn sie es nicht eingesetzt hätte, um ihn von all diesen betrüblichen und weichlichen Vorstellungen zu überzeugen. Sie erstickte jedes Gefühl der Zärtlichkeit in ihm; indem sie ihn zwang, sich gegen die Hirngespinste eines Elends zu wehren, dessen trügerisches und oberflächliches Wesen er schon lange erkannt hatte, unterdrückte sie bei ihm jedes Gefühl schlichter Zuneigung zu ihr.
    Yeghen flüchtete durch die Straßen und wurde den Eindruck nicht los, immer noch von dieser Mutter und ihrer vergifteten Liebe verfolgt zu werden, die jede Sorglosigkeit aus ihm verbannen wollte. Unter dem fahlen Licht der Straßenbeleuchtung ähnelte er mit seiner kleinen, schmächtigen Gestalt und seinem hüpfenden Gang einem riesigen Nachtvogel. In diesem Niemandsland, das zwischen den armen Stadtvierteln und dem Europäischen Viertel lag, huschten nur hin und wieder einige wenige Passanten über die Straße; wie die Gestalten eines Alptraums verschwanden sie in der Nacht. Yeghen verlangsamte seinen Schritt und überlegte, welche Richtung er einzuschlagen hätte. Er mußte einen großen Umweg machen, wenn er ins El-Azhar-Viertel kommen wollte, ohne das Europäische Viertel zu durchqueren. Auf keinen Fall wollte er sich in diese Festung des Geldes und der Langeweile vorwagen. Die trügerische Schönheit dieser großen Hauptverkehrsadern, auf denen das Gewimmel einer mechanisierten Menschenmasse herrschte und von denen jedes wirkliche Leben verbannt war, hielt er für ein ganz außergewöhnlich scheußliches Schauspiel. Er verabscheute diese kalten und anmaßenden modernen Gebäude, die riesigen Grabstätten ähnelten. Genauso wie diese grellbeleuchteten Schaufenster, in denen unmögliche Gegenstände auslagen, die niemand zum Leben brauchte. Ganz abgesehen davon, daß er dort auffallen würde. Dort fühlte er sich wie in einer

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