Gohar der Bettler
häßlichen Vorfall, der sich gerade an diesem Nachmittag ereignet hatte, und er murmelte wütend vor sich hin. Ein Polizist hatte ihm auf offener Straße unter dem fadenscheinigen Vorwand, ihn durchsuchen zu müssen, ein großes Stück Haschisch abgenommen. Diese Straßenräuber-Methoden machten ihn rasend, um so mehr, als er nichts dagegen tun konnte. Diese verdammte Polizistenbrut. All das Haschisch, das sie überall plünderten, um es angeblich im Fluß zu versenken. Nicht dumm. Sie verkauften es mit Sicherheit auf dem Markt, und zwar noch teurer als die Drogenhändler.
Es stand außer Zweifel, daß ein Mensch neben der Droge und dem Essen auch etwas Geld in der Tasche haben mußte. Sein Schmarotzer-und Bettlerdasein hinderte Yeghen nicht daran, verschwenderisch zu sein; ganz im Gegenteil. Zweifellos hatte er diesen Hang zu üppigen Ausgaben von seinem Vater geerbt. Er leistete sich gern den Luxus, für andere, noch Unglücklichere als er, zu zahlen und beispielsweise Gohar Finanziell unter die Arme zu greifen. Er wußte, daß Gohar niemals Geld besaß und auch nie darum bat, nicht aus Stolz, sondern weil ihm materielle Dinge einfach gleichgültig waren. Yeghen machte es sich zur Pflicht, ihm im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten zu helfen. Er war der einzige Mensch, den er kannte und der noch niemals Anstoß an seiner moralischen oder physischen Häßlichkeit genommen hatte. Der einzige Mensch, mit dem er vollkommen übereinstimmte. Gohar war weder ein Reformer noch ein Moralist; er nahm die Menschen so, wie sie waren. Diese charakterliche Besonderheit hatte Yeghen noch bei niemand sonst erlebt; die meisten Leute wollten einem ständig Ratschläge erteilen, genau wie seine Mutter. Im Grunde unterschied sich seine Mutter in dieser Hinsicht nicht vom Großteil der Menschheit.
Er fürchtete sich davor, Mitleid zu haben, und lachte hämisch. Nein, er war ihr gegenüber nicht gemein. Sie schlug sich auf ihre Weise durch und war ihm sogar in manchen Dingen überlegen. Keine Macht der Welt hätte sie in ihrer Hartnäckigkeit, mit der sie am Unglück hing, zu erschüttern vermocht. Sie hatte sich in ihrer Traurigkeit eingerichtet und verstand nicht, daß man angesichts des bittersten Elends noch lachen konnte.
Er wußte, daß sie schließlich nachgeben und ihm das Geld geben würde. Sie ließ sich nur deshalb so lange bitten, damit er möglichst lange in ihrer Nähe blieb: sie glaubte an ihre Vorbildfunktion. All diese Liebe, diese einnehmende Zärtlichkeit diente nur dazu, daß er sich den Erfordernissen des Elends beugte. Arme Frau! Sie wußte nicht, daß sie ein Ungeheuer an Optimismus geboren hatte.
Jetzt reichte es; er hatte ihr genügend Zeit geopfert.
»Gibst du mir jetzt das Geld?«
Von Mutlosigkeit gepackt, verharrte sie lange regungslos. Sie würde ihn also ein weiteres Mal verlieren. Dieser erbärmliche und mißratene Sohn war trotz alledem ihre einzige Verbindung zu den Menschen; sie würde ihn wohl niemals aufhalten, ihn niemals auf den rechten Weg zurückführen können. Diese vom Teufel besessene, unbegreifliche Kreatur glitt ihr immer wieder aus den Fingern. Das einzige, was sie von ihm zurückbehalten würde, war sein Lachen; dieses Lachen, das eine Verhöhnung ihres Elends darstellte. Ihr blieb diese Gleichgültigkeit unverständlich, die er dem entgegenbrachte, was ihr das einzig Würdevolle auf der ganzen Welt zu sein schien: die Fügung ins Unglück. Dieses Lachen, das furchtbarer war als der Schrei des Aufruhrs, würde noch lange in dieser düsteren Behausung nachhallen. Aufruhr hätte sie vielleicht noch zugelassen, nicht aber Hohn.
Sie zweifelte nicht im geringsten daran, daß alle ihre Opfer vergeblich sein würden; Geld war noch die geringste ihrer Zuwendungen. Sie hatte alles für ihn hergegeben; jetzt konnte sie ihm nur noch ihr nacktes Leben opfern. Warum nahm er nicht ihr Leben? Würde er eines Tages zu ihr kommen, um sie zu ermorden? Sie war bei ihm auf alles gefaßt.
»Eines Tages wirst du mich umbringen«, sagte sie.
»Aber nicht doch, Mutter. Was für ein dramatischer Gedanke! Das Leben ist viel einfacher. Gib mir das Geld, und ich gehe. Das ist alles. Daran ist überhaupt nichts Tragisches, das versichere ich dir. Worin besteht denn da für dich das Drama? Du bist die einzige, die glaubt, daß man die Welt ernst nehmen muß; die Welt ist lustig, Mutter! Du solltest hinausgehen und dich ein wenig amüsieren.«
Sie blickte ihn ohne einen Ausdruck des Erstaunens an, als
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