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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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behüte mich«, rief das Kind, während es die Zigarette aufhob.
    Rein zufällig entdeckte er dann Gohar.
    In einem Friseurladen - einer Art Hütte ohne Tür -, der nur vom weit entfernten Licht des Cafes beleuchtet wurde, thronte Gohar, vor Müdigkeit ermattet und der traurigen Weisheit eines in sich zusammenbrechenden Universums hingegeben, auf dem einzigen Sessel. Als er die Stimme Yeghens hörte, fuhr er hoch.
    »Sei gegrüßt, Meister.«
    »Endlich kommst du, mein Sohn!«
    Yeghen verbeugte sich bis zum Boden, was wie eine parodistische Ehrerbietung anmutete. Die Wertschätzung, die er seinem Meister entgegenbrachte, schloß Possen nicht aus.
    »Immer zu deinen Diensten. Ich hoffe, ich störe dich nicht beim Nachdenken?«
    »Ganz und gar nicht. Setz dich.«
    Yeghen holte sich einen Stuhl, der auf der Straße herumstand, dann setzte er sich mit heiterer Miene zu ihm. Jedesmal wenn er ihn traf, empfand er dieselbe Freude; man hätte meinen können, daß die Anwesenheit Gohars die unglaublichsten Glücksgefühle hervorrief All seine Ängste, auch die in seinem Unterbewußtsein verborgenen, verschwanden beim bloßen Anblick seines Meisters. Sogar seine Häßlichkeit vergaß er.
    In dem engen Friseurladen erhielt das Schweigen Gohars das unsagbare Gewicht der Ewigkeit. Yeghen respektierte dieses Schweigen. Er wußte, daß die Stummheit Gohars geheime und nicht zu vermittelnde Freuden verbarg. Aber plötzlich schreckte ihn das Gefühl auf, etwas sehr Wichtiges vergessen zu haben; obwohl Gohar niemals um etwas bat, wartete er mit Sicherheit auf eine einzige Sache: die Droge. Schnell holte er aus seiner Tasche ein zusammengefaltetes Blatt Papier, entfaltete es und teilte das darin enthaltene Stück Haschisch in zwei Hälften. Die größere Hälfte bot er Gohar an; der nahm sie wortlos und rollte sie zwischen seinen Fingern zu einer Kugel, die er sich dann in den Mund steckte, um sie zu lutschen. Schon fühlte er, wie seine Lebensgeister langsam wieder erwachten und das Blut in seine erstorbenen Venen strömte. Er schloß die Augen und kostete diesen wunderbaren Augenblick, der auf den völligen Entzug folgt, in vollen Zügen aus. Yeghen, den diese zu hastige Art, Rauschgift zu nehmen, etwas verdutzte, rührte sich nicht. Die Einnahme der Droge über den Verzehr, die Gohar wegen ihrer Einfachheit bevorzugte, versetzte ihn immer genauso in Erstaunen wie ein Zaubertrick, bei dem man etwas zum Verschwinden bringt. Er vertrat die Ansicht, daß die Einnahme von Drogen ein ausgefeilteres Ritual erforderte. Yeghen liebte die phantastische Atmosphäre der Opiumhöhlen, den schweren Rauch, dicht und undurchdringlich wie Nebel, und vor allem liebte er den anhaltend süßlichen Geruch, der lange in den Kleidern hängenblieb und noch aufdringlicher war als ein Frauenparfum. Es handelte sich um eine Art von Romantik, die seiner Poetenseele teuer war und die Gohar auf einen Schlag wegwischte, wenn er sich das Haschisch direkt in den Mund steckte. Angesichts dieser Hast überkam Yeghen jedesmal ein leichter Schauer. Er mochte sich noch so oft sagen, daß die gewünschte Wirkung die gleiche sei, er konnte nicht umhin, dieses mangelnde Interesse an Vorbereitung und schmückendem Beiwerk zu bedauern.
    Im Halbdunkel des Ladens schnitt er seine Lieblingsgrimassen und achtete auf das kleinste Anzeichen des Wiederauflebens, das sich im Organismus seines Gefährten vollzog. Er freute sich schon darauf, bald mit ihm plaudern zu können. Gohar blieb aber immer noch stumm; nur ein leichtes Keuchen ließ darauf schließen, daß er langsam zum Leben erwachte.
    Nach dem Verlassen des Bordells, in dem er die junge Prostituierte erwürgt hatte, war Gohar auf der Suche nach Yeghen durch die Straßen der Stadt gelaufen. Die Wirkung der Droge hatte zur Folge, daß sich das Bewußtsein seiner Tat eine gewisse Zeit lang abschwächte. Sie kam ihm vor wie ein tragischer Irrtum, dessen Bedeutung sich jedoch im Unbestimmten verlor. Welche Bedeutung besaß schon ein einziges Verbrechen angesichts der Unzahl anderer, verschiedenartigster Verbrechen wie Kriege, Massaker oder Unterdrückung, die jeden Tag begangen wurden? Natürlich war er nicht unempfänglich für Mitleid. Der Gedanke an sein Opfer hatte ihm, während er verzweifelt durch die Straßen der Stadt irrte, die ganze Zeit über das Herz zusammengeschnürt. Aber er hatte das Gefühl, als würde es sich um einen bedauerlichen Unfall handeln, dessen hilfloser und erschrockener Zeuge er lediglich war. Er

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