Gohar der Bettler
ziemlich geläufiges Alibi. Aber unglücklicherweise nicht zu überprüfen. Hast du mir nichts anderes anzubieten?«
»Vielleicht könnte man die Spur meiner Schritte wiederfinden. Ich habe Sohlen, die Abdrücke hinterlassen.« Und El Kordi hob den Fuß, damit der Offizier in Ruhe seine Sohlen ansehen könnte.
Nour El Dine hatte nicht die Zeit zu antworten, denn plötzlich ging die Eingangstür auf, und zwei Krankenpfleger mit weißen Hemden, die eine Bahre trugen, kamen herein. Der Wachpolizist führte sie zum Zimmer der ermordeten Hure, in dem sie verschwanden. Kurze Zeit später kamen sie mit dem Leichnam der jungen Arnaba wieder heraus, der mit einem geteerten Tuch bedeckt war. Bei diesem Anblick begannen die Mädchen zu heulen und wie Wahnsinnige mit den Armen zu schlagen. Nour El Dine hielt sich die Ohren zu und wartete geduldig, bis diese kollektive Raserei zu Ende sein würde.
El Kordi lächelte albern. Er wurde die Erinnerung an den jämmerlichen Kerl, der sich mit so großem Stolz als Kassierer ausgegeben hatte, nicht los. Der hatte von sich behauptet, der Freund des Ministers zu sein. Und wenn schon, warum eigentlich nicht?
Das Geräusch der Stimmen und das Licht der Karbidlampen vermittelten ihm das Gefühl eines behaglichen Zufluchtsortes. Zu dieser Zeit des Abends quoll das Cafe des Miroirs über von einer lärmenden Menschenmenge, die alle Tische besetzt hielt und sich in einer langsamen Prozession über die Fahrbahn aus gestampftem Lehmboden bewegte. Aus den Lautsprechern des ununterbrochen spielenden Radios ertönte ein Schwall lautet Musik, der die Pracht der Wörter, der Schreie und des Gelächters in einem gleichklingenden Getöse untergehen ließ. In diesem überwältigenden, lärmenden Getümmel überließen sich zerlumpte Bettler, Kippensammler und fliegende Händler einer Art heiterer Aktivität, ganz so wie Gaukler auf einem Jahrmarkt. Allabendlich herrschte hier diese Jahrmarktsatmosphäre. Das Cafe des Miroirs schien ein von der Weisheit der Menschen geschaffener Ort zu sein, der am Rande einer zur Traurigkeit verdammten Welt lag. Yeghen fühlte sich von diesem Müßiggang und dieser trunkenen Freude immer wie verzaubert. Es hatte den Anschein, als würde niemand von diesen Menschen die Angst und das harte Los eines Lebens im Elend kennen. Sicher, ihre aus unzähligen Lumpen bestehende Kleidung zeugte von großer Armut, sie hinterließ ihre unauslöschlichen Spuren auf den eingefallenen und ausgemergelten Körpern; und doch vermochte sie nicht, aus ihren Gesichtern die sichtbare Freude darüber zu löschen, noch am Leben zu sein.
Eigenartiges Volk! Yeghen, den dieses brüderliche und außerordentlich ermutigende Gedränge glücklich machte, bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er befand sich in seiner Welt; hier war seine Häßlichkeit niemandem ein Dorn im Auge; im Umgang mit den einfachen Menschen erlangte sie im Gegenteil sogar eine Art Glanz. Man kannte ihn, und er wurde mit freundschaftlichen Zurufen begrüßt. Man lud ihn mehrfach zu einem Glas Tee ein, aber er lehnte mit der vagen Begründung ab, daß er beschäftigt sei. In Wahrheit versuchte er Gohar zu finden; ohne Droge und hilflos leidend, würde dieser ihn sicher ungeduldig erwarten. Das Leiden Gohars war die einzige Ungerechtigkeit auf dieser vor Ungerechtigkeiten strotzenden Welt, die er nicht tolerieren konnte. Er brachte alle Großzügigkeit, deren er fähig war, auf um Gohar zu seiner täglichen Ration Haschisch zu verhelfen. Einem Menschen dieses kleine bißchen Glück zu verschaffen - wenn auch nur für die Dauer einiger weniger Stunden - war in seinen Augen wirkungsvoller als all die vergeblichen Anstrengungen der Reformer und Idealisten, die eine notleidende Menschheit von ihrem elenden Los befreien wollten. Was das anging, rühmte Yeghen sich, der Apostel eines unmittelbaren und spürbaren Nutzeffekts zu sein. Die langwierige Ausarbeitung gelehrter Theorien darüber, wie die Armut des Volkes zu lindern wäre, stellte seiner Ansicht nach nichts als einen schlechten Scherz dar.
Er lachte hämisch, darauf bedacht, den Anschein zu wahren.
Ohne es sich einzugestehen, war er noch ganz überwältigt von der Erinnerung an die erst kurze Zeit zurückliegende Begegnung mit dem jungen Mädchen. Jetzt, wo er es geschafft hatte, dank eines Gedichts mit ihr in Kontakt zu treten, fragte er sich, welche Auswirkungen dieses Abenteuer wohl auf sein Privatleben haben würde. Er war sich jedenfalls absolut sicher, keine Liebe
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