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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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Liebst du sie?«
    »Hältst du mich für El Kordi? Meister, ich bin doch kein Kind.«
    »Auch El Kordi ist kein Kind«, sagte Gohar. »Glaub mir, du schätzt ihn falsch ein. Er steht lediglich unter dem Einfluß einer westlichen Literatur, die beabsichtigt, die Frau zum Mittelpunkt eines Mysteriums zu machen. El Kordi zerbricht sich den Kopf darüber, ob die Frau ein denkendes Wesen ist; sein Gerechtigkeitssinn verleitet ihn dazu, sie als soziales Wesen zu verteidigen. Aber im Grunde genommen glaubt er selbst nicht daran. Alles, was er von einer Frau will, ist, daß sie mit ihm schläft. Und das meistens auch noch, ohne zu zahlen, weil er arm ist.«
    »Bei mir aber liegt der Fall anders. Ich will gar nicht mit ihr schlafen.«
    »Eine platonische Liebe! Das ist ja noch schlimmer.«
    »Es geht überhaupt nicht um Liebe, Meister. Es geht um etwas anderes.«
    »Und worum geht es?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Yeghen schwieg. Er hatte gerade bemerkt, daß eine ganze Bande struppiger Kinder, die im Eingang des Ladens stand, ihr Gespräch mit andächtigem Schweigen verfolgte. Sie schienen wie versteinert von dem, was sie soeben zu hören bekamen.
    »Das hier ist ein Friseursalon für Nichtraucher«, sagte er. »Es gibt hier keine Zigarettenstummel. Ihr verschwendet eure Zeit.«
    »Wir suchen keine Kippen«, sagte ein ungefähr achtjähriges Mädchen, das nur mit bunten Lumpen bekleidet war. »Wir wollen schlafen. Das ist unser Platz.«
    »Ihr wollt jetzt schon schlafen?« fragte Yeghen. »Aber es ist doch noch zu früh. Geht noch ein wenig spazieren.«
    »Gib mir einen Piaster«, forderte das kleine Mädchen.
    Mit ihren hennaroten Haaren und den bunten Farben ihres Aufputzes sah sie aus wie eine schmutzige Puppe.
    »Einen Piaster«, empörte Yeghen sich. »Was willst du mit einem Piaster anstellen? Schämst du dich nicht zu betteln? Komm, laßt uns in Ruhe. Wir haben ernste Dinge zu besprechen.«
    »Gehen wir«, sagte das Mädchen mit verächtlich herabgezogenem Mundwinkel. »Das sind Kinderschänder.«
    »Das sind wohl die verhängnisvollen Folgen der Finsternis«, sagte Yeghen.
    Die Kinder ließen sich unweit der Hütte nieder. Yeghen verlor sie nicht aus den Augen; er sah, wie sie sich gegenseitig anrempelten und dabei obszöne Flüche ausstießen. Zweifellos einigten sie sich, wie sie die Männer am besten von diesem Ort vertreiben könnten. Yeghen wußte, daß sie hartnäckig waren und nicht lockerlassen würden.
    Dieser Ort wurde jetzt sehr gefährlich.
    »In Wahrheit amüsiert mich das Mädchen.«
    »Wer, die Kippensammlerin?« fragte Gohar.
    »Aber nicht doch, Meister. Die Tochter des Beamten. Stell dir vor, sie sieht mich an, ohne angewidert zu sein. Und das im vollen Licht der Straßenlaterne. Sie lächelt mich sogar an. Ich bin fast geneigt zu glauben, daß sie mich sympathisch findet.«
    »Du wirst doch wohl nicht zu einem Geck werden wollen?« fragte Gohar beunruhigt. »Damit spricht sie deine Eitelkeit an. Mein lieber Yeghen, dieses Mädchen ist ein Ausbund an Verruchtheit.«
    »Ich habe vergessen, dir zu sagen, daß sie Klavierstunden nimmt.«
    Gohar fand keine Zeit zu antworten. Sie wurden erneut gestört. Diesmal war es ein einarmiger jammernder Verkäufer von Lotterielosen. In seiner intakten Hand hielt er ein einzelnes zerknittertes und schmutziges Los, das er zweifellos vom Boden aufgelesen hatte.
    »Wieviel kann man mit diesem Los gewinnen?« erkundigte sich Yeghen.
    »Tausend Pfund, mein Bey!« antwortete der Mann.
    »Das ist nicht genug. Hast du eins, mit dem man zehntausend gewinnen kann?«
    »Es gibt keine Lose, mit denen man zehntausend Pfund gewinnen kann. Nur tausend. Und mit diesem Los gewinnst du sie. Kauf es mir ab! Allah möge deinen Reichtum mehren.«
    »Mach dich fort«, sagte Yeghen. »Tausend Pfund ist was für Bettler.«
    Der Mann verschwand in der Dunkelheit, die über dem unbebauten Gelände lag, und murmelte irgendwelche Beschimpfungen gegen eine anscheinend anspruchsvolle und zänkische Ehefrau vor sich hin.
    »Meister, stell dir einmal vor, wir hätten tausend Pfund!«
    »Was sollten wir damit, mein Sohn?«
    »Du könntest dann endlich nach Syrien gehen.«
    Die Anspielung auf diese Reise betrübte Gohar, anstatt ihn zu erfreuen, denn sie erinnerte ihn indirekt an sein Verbrechen. Noch ein Traum, der zerbrach. Würde er diese Reise jetzt noch jemals antreten können? Er hatte sich vielleicht um die einzige Möglichkeit gebracht, der Angst zu entfliehen, mit der die Welt rang. Es fiel

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