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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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widerwärtige Zurschaustellung all dieser in Marsch gesetzten Armeen ins Visier genommen. Eine furchtbare Angst packte ihn. Das Gemetzel war also genau geplant: Sie wollten ihm ans Fell. Und er, was machte er in der Zwischenzeit? Er saß ruhig hinter seinem Schreibtisch, verwundbar und schutzlos. Er mußte etwas tun, sich vor allem zunächst einmal eine Waffe kaufen. Es wäre eine Torheit, sich in einer Welt, in der sich alle bewaffnen, keine Waffe zu besorgen und darauf zu warten, daß man getötet würde. Das durfte man sich nicht gefallen lassen, der Bedrohung mußte etwas entgegensetzt werden. »Ich müßte mit Gohar darüber reden«, sagte er sich. Beim Gedanken an einen mit einem Maschinengewehr bewaffneten Gohar mußte er lächeln. Es war sein erstes Lächeln an diesem Tag.
    Dieser amüsante Gedanke entspannte El Kordi, und er konnte der Versuchung, das Ministerium zu verlassen, nicht mehr länger widerstehen; die Rolle eines in seinem Zimmer hockenden Verfechters der Gerechtigkeit hatte er lange genug gespielt. Er erhob sich von seinem Stuhl.
    »Ezzedine Effendi!«
    Damit war der Bürovorsteher gemeint, ein fast blinder Alter. Seine riesigen Brillengläser verliehen ihm das Aussehen eines prähistorischen Tieres. Die Nase ganz dicht über der Akte, an der er gerade arbeitete, fragte er resigniert:
    »Was gibt’s denn?«
    »Ich gehe für einen Augenblick weg.«
    »Tu dir nur keinen Zwang an, mein Sohn. Sei versichert, wir werden schwer an deiner Abwesenheit tragen.«
    Diese ironische Bemerkung vermochte El Kordis Entschluß nicht zu erschüttern. Seit langem schon war er an solche verbalen Ausfälle gewöhnt. Es entging ihm nicht, daß sein Vorgesetzter seine Abwesenheit als eine Wohltat empfand; seine Anwesenheit konnte einem reibungslosen Arbeitsablauf nur abträglich sein. Er war ein abschreckendes Beispiel für seine Kameraden im Unglück.
    »Gehabt euch wohl!«
    »Fühle dich nur nicht verpflichtet zurückzukommen«, sagte Ezzedine Effendi. »Laß dir nur ruhig Zeit.«
    El Kordi zuckte mit den Schultern, und ohne einen Blick für seine abgestumpften Kollegen verließ er den Raum.
    Die Hoffnung auf eine Revolution diente im Grunde nur der Zerstreuung seiner Langeweile; als er sich erst einmal seiner Peiniger entledigt hatte und in die Gärten des Ministeriums hinausgetreten war, dachte El Kordi schon nicht mehr daran. Die Frühlingssonne und die milde Luft weckten sinnliche Gedanken in ihm, und er beschleunigte seinen Schritt. Sein Wunsch, Naila wiederzusehen und mit ihr zu schlafen, vermischte sich mit der Neugierde, vielleicht etwas Zweckdienliches über dieses rätselhafte Verbrechen ohne Motiv in Erfahrung zu bringen. Genaugenommen war er ja in dieses Verbrechen verwickelt; es ging ihm nicht aus dem Kopf. Sein Verhör durch den Polizeioffizier hatte ihn auf den Geschmack solcher riskanter Unterhaltungen gebracht, bei denen er den Eindruck gewann, sich unmittelbar einer Gefahr auszusetzen, die prickelnder war als alle seine wunderbaren Hirngespinste. Denn diese Gefahr war echt, keine Spielerei. Der Offizier scherzte nicht beim Verhör. Bei der Erinnerung an dieses Gespräch schwoll seine Brust vor Stolz: Er zweifelte nicht daran, einen überwältigenden Sieg über die Vertreter der Staatsgewalt davongetragen zu haben, obwohl er zum ersten Mal eine derartige Erfahrung gemacht hatte. Er war dazu bereit, sich erneut mit diesem unfähigen Offizier zu messen. Er fürchtete niemanden. Sollten sie doch kommen und ihn festnehmen, wenn sie den Mut dazu hatten.
    Ein plötzliches Erstaunen ergriff ihn. Ihm schien, als würde er ohne Feindseligkeit oder Groll an den Offizier denken, sondern vielmehr mit einer Art unbestimmter Freude, einem sadistischen Vergnügen. »Merkwürdig!« sagte er sich. Bisher wurden seine Gefühle gegenüber Nour El Dine von genau demselben unveränderlichen Haß diktiert, den er für all diejenigen empfand, die mehr oder weniger direkt die Staatsmacht sowie das Unrecht personifizierten. Mit einem Mal wurde er sich eines außergewöhnlichen Sachverhalts bewußt: Nour El Dine war nicht einfach nur ein ruchloser Polizist, sondern auch ein Begehrlichkeiten und Qualen ausgelieferter Mensch, was ihn, abgesehen von seiner schmutzigen Arbeit, mit dem grenzenlosen Elend in Verbindung brachte, mit dem die Masse der Menschen rang. Auf diese Weise bekam er ein neues Gesicht, und der Gedanke an dieses Gesicht rief bei El Kordi einen verwirrenden Gefühlszustand hervor. Er versuchte sich an eine

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