Gohar der Bettler
ihm schwer, diesem paradiesischen Syrien zu entsagen, das er sich erträumt hatte und wo er glückliche Tage verleben wollte. Sicher, es war nur ein Traum, aber war nicht die schlimmste aller Entsagungen der Abschied von einem Traum?
»Ich könnte sogar mit dir kommen«, fuhr Yeghen fort.
Gohar wandte den Kopf und sah seinen Gefährten an. Wie sollte er ihm erklären, daß es nicht mehr möglich war; wie sollte er ihm dieses entsetzliche Verbrechen erklären? Zu einer solchen Beichte fühlte er sich außerstande. Später vielleicht würde er ihm alles erzählen.
Yeghen verzog erstaunt das Gesicht: im Eingang der Hütte war die Silhouette El Kordis zu erkennen.
»Etwas Furchtbares ist passiert! Ich bin außer mir.«
Die beiden Männer ließen sich durch diese Eröffnung in keiner Weise aus der Ruhe bringen. Sie war Bestandteil einer Art von Ritual. El Kordi sprach die Leute immer mit der Heftigkeit eines Menschen an, der unmittelbar zuvor nur knapp einem Blutbad entronnen war. Man mußte ihm ein wenig Zeit lassen, sich wieder zu beruhigen. Sie hüteten sich auch davor, ihm Fragen zu stellen. Sie warteten geduldig, bis er ihnen sagte, was ihn bedrückte.
Angesichts dieses einverständlichen Schweigens stieß El Kordi einen Seufzer aus.
»Ich warne euch, das ist kein Scherz«, sagte er. »Ich komme von Set Amina. Das Haus ist voller Polizisten.«
»Eine Razzia!« entfuhr es Yeghen.
»Eben nicht! Genau das dachte ich zuerst auch. Es ist aber viel schlimmer. Man hat Arnaba ermordet, die Neue.«
Nachdem er den gewünschten Überraschungseffekt erzielt hatte, beruhigte El Kordi sich. Jetzt betrachtete er das Geschehene unter einem weniger tragischen Blickwinkel.
»Weiß man, wer der Mörder ist?« fragte Yeghen.
»Nein. Das einzige, was man weiß, ist, daß er nichts gestohlen hat. Er hat das Mädchen einfach nur erwürgt. Das hat den Polizeioffizier im übrigen ganz verrückt gemacht. Er hatte kein Tatmotiv. Ich bin nur hierhergekommen, um euch zu sagen, daß ihr nicht dorthin gehen sollt. Man hat mich verhört; es war sehr unangenehm.«
»Welche Art von Verhör?« wollte Yeghen wissen. »Hat man dich geschlagen?«
»Sie haben es nicht gewagt. Als ich sagte, daß ich Regierungsbeamter sei, hat der Offizier seinen Ton mir gegenüber schnell geändert. Die ganze Sache kam mir übrigens ziemlich undurchsichtig vor. Ein merkwürdiger Typ. Wißt ihr, plötzlich fing er an, Englisch mit mir zu sprechen!«
»Oh! Bei meiner Mutter!« sagte Yeghen. »Englisch!«
»Genau. Set Amina war das überhaupt nicht geheuer. Sie beklagte sich darüber, daß man in ihrem Haus Englisch spricht.«
»Diese Art Offizier kenne ich. Er wollte dich bluffen.«
»Mich blufft man nicht«, sagte El Kordi.
Er begann von seinem Verhör zu erzählen, wobei er sich selbst die beste Rolle zuwies und die revolutionäre Tragweite seiner Antworten dem Offizier gegenüber besonders hervorhob. Aus allem, was er erzählte, ging hervor, daß es ein brutales Verhör war, er sich aber mit letzter Kraft zu wehren gewußt hatte.
»Ich habe ihn buchstäblich verblüfft. Er wußte nicht mehr, woran er war.«
Als er merkte, daß Gohar nichts sagte, schwieg er. Das Schweigen seines Meisters in einer so wichtigen Angelegenheit, die sie alle unmittelbar betraf, erschien ihm unverständlich. Saß er vielleicht zufälligerweise tot in seinem Sessel?
»Was hältst du von der Sache, Meister?« fragte er. »Ich würde mich glücklich schätzen, deine Meinung dazu zu hören. Es ist ein mysteriöses Verbrechen, nicht wahr?«
»Vielleicht war es ein Versehen, mein Sohn«, antwortete Gohar, als würde er mit sich selbst sprechen.
»Ein Versehen! Was sagst du da, Meister?«
Dann begann er übergangslos zu lachen.
»Ah! Ich habe vergessen, euch zu sagen, daß da auch noch ein ganz komischer Kauz war. Er behauptete, der Freund eines Ministers zu sein...«
In diesem Augenblick drängte ein barfüßiger, in Lumpen gekleideter Mann El Kordi zur Seite und trat in den Laden ein; er sah völlig verstört aus.
»Wo ist der Barbier? Ich möchte mich rasieren lassen.«
»Das bin ich«, sagte Gohar, indem er aufstand. »Würden Euer Exzellenz die Güte besitzen, Platz zu nehmen.«
Der Mann ließ sich in den Sessel fallen und schlief sofort ein. Bald hörte man ihn schnarchen.
»Gehen wir«, sagte Gohar.
»Ich würde gern ein Glas Tee trinken«, sagte El Kordi. »Die ganze Aufregung hat mich durstig gemacht.«
Untergehakt machten sich die drei Männer auf den Weg zu
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