Gohar der Bettler
den Lichtern des Cafes, wobei sie über diesen jämmerlichen Kassierer scherzten und lachten, den El Kordi im Bordell getroffen hatte. Das Verbrechen hatten sie bereits vergessen. Gohar noch mehr als die anderen.
Es war elf Uhr vormittags. El Kordi langweilte sich hinter seinem Schreibtisch im Ministerium für Bauwesen und beobachtete die herumschwirrenden Fliegen. Der große Raum, in den das Licht durch hohe Fenster Fiel und in dem mehrere Schreibtische standen, an denen noch andere Beamte ihrer Arbeit nachgingen, war ihm ebenso verhaßt wie eine Gefängniszelle. Genaugenommen handelte sich hier sogar um ein ganz schäbiges Gefängnis, wo man auf ewig mit gewöhnlichen Kriminellen zusammen war. El Kordi hätte es hingenommen, im Gefängnis zu sein, allerdings nur in einer Einzelzelle und als politischer Gefangener. Sein Groll gegen diese Art des Zusammengepferchtseins rührte von hohen aristokratischen Instinkten her, deren er sich nicht bewußt war. Dieser auf die Dauer unerträgliche Mangel an Intimität verbitterte ihn. Wie sollte man in Gegenwart solch regungsloser und verstaubter Gestalten, die für die ewige Sklaverei bestimmt waren, in Ruhe über Probleme von universaler Bedeutung nachdenken können? Um gegen diese Ungerechtigkeit des Schicksals zu protestieren, arbeitete El Kordi fast überhaupt nichts, womit er zugleich sein Mißfallen sowie seine geistige Unabhängigkeit zum Ausdruck bringen wollte. Aber da niemand seinen Protest zur Kenntnis nahm, langweilte er sich.
Sein Verhalten erklärte sich nicht allein aus Faulheit; die Nichtigkeit einer Arbeit, die ein Kind zu verrichten in der Lage gewesen wäre, trug wesentlich zu seiner Entscheidung bei. In Gegenwart dieser jämmerlichen Kollegen hier in diesem tristen Raum eingeschlossen zu sein, während das Leben ihm eigentlich etwas ganz anderes abverlangte, erschien ihm wie eine ungerechtfertigte Schikane. Was hatte er denn getan, um eine solche Strafe zu verdienen? El Kordi glaubte sich für ein zwar hoffnungsloses, aber ruhmreiches Leben bestimmt. Die Tatsache, auf dieses Nichts, diese stumpfsinnige und nutzlose bürokratische Routine zurückgeworfen zu sein, ließ ihn an seinem Schicksal zweifeln. In Wahrheit wußte er jedoch nicht, was er anderes tun könnte. Überkam ihn, so wie jetzt, eine düstere Langeweile, führte er sich gern das Elend des Volkes sowie seine eigene furchtbare Unterdrückung vor Augen; dann fand er Gefallen daran, von einer brutalen und blutigen Revolution zu träumen. Befand er sich dann aber einmal auf der Straße inmitten all der Menschen, verwandelte sich das Elend des Volkes in einen Mythos, eine leere Abstraktion, und verlor seine ganze explosive Schärfe. Es waren in erster Linie die pittoresken Details dieses Elends, die Größe seines unerschöpflichen Humors, zu denen er sich hingezogen fühlte, und darüber vergaß er sofort seine heilbringende Mission. Bei diesem beklagenswerten Volk entdeckte er eine unerklärliche und rätselhafte Fähigkeit zu so intensiver Freude, einen vollkommen offensichtlichen Willen zum Glück und zur Sicherheit, daß er am Ende dachte, der einzige unglückliche Mensch auf Erden zu sein. Wo also war das Unglück? Wo war die verheerende Unterdrückung? Man hätte meinen können, daß all diese Bilder, die er sich von diesem Elend machte, sich in nichts auflösten wie Traumbilder. Es bedurfte großer Anstrengungen seitens El Kordis, um das Beklagenswerte, das die Voraussetzung seiner Empörung bildete, hier auszumachen. Da, wo er eigentlich tiefbetrübt mit seinen Tränen hätte kämpfen müssen, wurde er von einem ungeheuren Lachen geschüttelt.
Das alles war nicht ernst zu nehmen. El Kordi hätte gern ein Volk nach seinen Vorstellungen gehabt: traurig und von Rachegelüsten beseelt. Nur, wo war es zu finden?
Er träumte davon, ein Mann der Tat zu sein; sein Blut kochte vor jugendlicher Ungeduld. Diese lächerliche Arbeit, für die er einen Hungerlohn bezahlt bekam, war nicht dazu angetan, seinen Hunger nach sozialer Gerechtigkeit zu stillen. Sie widerte ihn so sehr an, daß er sich ihrer meistens mit Hilfe seiner noch unglücklicheren Kollegen - sie waren verheiratet oder hatten viele Kinder - entledigte, die er dafür korrekt entlohnte. Dies war auch der Grund dafür, weshalb sich an jedem Monatsende ein paradoxes Schauspiel ereignete: die Kollegen, die eine bestimmte Arbeit für El Kordi übernommen hatten, standen vor seinem Büro Schlange, um ihren mageren Lohn zu kassieren. Bei
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