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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cossery
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diesen Gelegenheiten nahm El Kordi die gereizten Züge eines Chefs an, der seine Angestellten auszahlt. Das wenige Geld, das übrigblieb, reichte ihm dennoch zum Leben. Er führte ein zwar äußerst ärmliches, aber anständiges und, so glaubte er, sehr würdevolles Leben. Seine dauernde Sorge bestand darin, den Schein zu wahren. War er beispielsweise gezwungen, sich von gekochten Bohnen zu ernähren, erzählte er dem Lebensmittelhändler, daß es ihn anwidere, dauernd Hähnchen zu essen, und daß eine volkstümliche Mahlzeit sicherlich seinen abgestumpften Geschmackssinn anregen würde. Der Lebensmittelhändler war natürlich kein Dummkopf aber die Ehre gerettet.
    Von seinem Platz aus beobachtete er zerstreut seine abscheulichen Kollegen und glaubte, überall die Ketten der Sklaverei zu gewahren. Diese Beschränkung, die seiner Freiheit täglich für einige Stunden auferlegt wurde, machte ihn äußerst empfänglich für das Leiden der unterdrückten Massen auf der ganzen Welt. Er rückte auf seinem Stuhl hin und her und stieß einen lauten Seufzer aus. Einige der Sklaven, die ernsthaft arbeiteten, hoben den Kopf und warfen ihm einen verständnislosen Blick zu. Auf diese traurigen Blicke reagierte El Kordi mit einem aggressiven Gesichtsausdruck. Er verachtete sie alle. Mit dieser kläglichen Sippschaft wäre keine Revolution zu machen. Seit Jahren schon - wie viele es waren, hätte niemand zu sagen gewußt - saßen sie da mit ihren mumifizierten Gesichtern, verwachsen mit ihrem Platz und eingestaubt. Ein echtes Panoptikum der Abscheulichkeiten. Bei dem Gedanken daran, daß er eines Tages vielleicht so sein könnte wie sie, schauderte es El Kordi, und er wollte sofort weg von hier. Dann sagte er sich, daß es noch zu früh zum Gehen sei, und langweilte sich in Ruhe weiter.
    Um dem deprimierenden Einfluß seiner Kollegen zu entgehen, versuchte El Kordi, sich in seine Liebesphantasien zu flüchten. Seit dem Abend des Verbrechens, das heißt seit drei Tagen, hatte er Naila nicht wiedergesehen, und er begann die unseligen Auswirkungen einer zwangsweisen Keuschheit zu spüren. Das Freudenhaus stand immer noch unter polizeilicher Aufsicht; es barg viele Risiken, sich hineinzuwagen. El Kordi dachte an die junge Frau und stellte sie sich krank und einsam vor; er stellte sich vor, wie sie ihn in ihrem Todeskampf zu sehen verlangte und mit ihrem letzten Atemzug seinen Namen aushauchte. Einen langen Augenblick schwelgte er in dieser pathetischen Vorstellung, dann überkam ihn mit einem Mal das Bedürfnis, Naila einen Brief zu schreiben. Er würde ihr von seiner Liebe und gleichzeitig vom Leiden des Volkes schreiben. Unglücklicherweise konnte er sein Vorhaben nicht in die Tat umsetzen: er fand nirgends seine Feder. Da erinnerte er sich, daß sein Vorgesetzter sie ihm schon vor einiger Zeit unter dem zweifelhaften Vorwand weggenommen hatte, sie würde mangels Gebrauch Rost ansetzen. Bei der Erinnerung an diese Schikane empfand El Kordi zunächst Wut, die sich aber sehr schnell in große Erleichterung verwandelte; er hatte jetzt eine Entschuldigung, den Brief nicht zu schreiben, ganz abgesehen davon, daß Naila nicht lesen konnte.
    Fliegen schwirrten im Zimmer herum und setzten sich auf seine Nase. El Kordi versuchte einige von ihnen zu fangen, um sie einem furchtbaren Schicksal zuzuführen, wurde ihrer aber nicht habhaft. Er war so sehr abgestumpft, daß es ihm für diese Art des Zeitvertreibs an Behendigkeit mangelte. Am Ende seiner Kräfte, nahm er zum zehnten Mal die Zeitung in die Hand, die auf seinem Tisch herumlag, und überflog sie. Allerorten verkündeten große Überschriften, daß man überall auf der Welt dabei sei, für den nächsten Krieg aufzurüsten. In der Zeitung wirkte dies alles wie etwas weit Entferntes, ohne direkte Auswirkungen auf das tägliche Leben. Man berichtete so rückhaltlos davon, daß man nicht an den Wahrheitsgehalt der ganzen Angelegenheit glauben konnte. Aber El Kordi befand sich augenblicklich in einem Zustand der Bedrückung, der ihn für die geringste Gefahr empfänglich machte: zum ersten Mal hatte er den Eindruck, als berge die Beschreibung all dieser Waffenarsenale eine konkrete und gräßliche Realität in sich. Es handelte sich nicht mehr einfach nur um gedruckte Zeitungsworte. Die Anhäufung eines solchen kriegerischen Potentials schien ihm nicht nur gegen die Menschheit, sondern geradezu gegen seine eigene Sicherheit gerichtet zu sein. So als würde er, El Kordi, durch die

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